Zur Person:

Dr.in Eva Wallensteiner hat Theaterwissenschaft, Indologie und Ethnologie in Wien studiert. Sie ist seit vier Jahren als Projektreferentin bei der Katholischen Frauenbewegung und bei der Dreikönigsaktion für die Region Nord-Indien und Sri Lanka tätig und unterricht Theater-Ethnologie an der Universität Wien.

Foto: Wallensteiner
Regelmäßige Besuche bei den ProjektpartnerInnen sind ein wichtiger Teil der Evaluierung, so Eva Wallensteiner, hier zu Gast beim traditionellen Chaat Puja-Fest in Bettiah (Bundesstaat Bihar).
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Auf keinen Fall wollen sie "Opferkult" mit den indischen Frauen betreiben: Für Eva Wallensteiner, die Projektreferentin der Katholischen Frauenbewegung (KFB) in der Region Indien, steht bei der Entwicklungsarbeit mit indischen Frauen erst einmal das Erkennen der eigenen Lebenssituation und die Fähigkeit zu selbstbestimmten Handeln im Vordergrund. Worin sich die Arbeit der KFB von reiner Charity-Arbeit unterscheidet, warum sie bei der Projektauswahl weniger auf Zahlen und Frauenquoten achten, die ständige Evaluierung in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit aber äußerst wichtig ist, erläutert sie im Gespräch mit dieStandard.at.

dieStandard.at: Sie sind Projektreferentin für über 50 Projekte der KFB. Nach welchen Kriterien sucht die KFB ihre Projekte aus?

Eva Wallensteiner: Nachdem wir nicht nach dem Gießkannenprinzip arbeiten, haben wir eine geografische und thematische Schwerpunktsetzung. Bei der KFB stehen die Frauen bei allen Projekten im Zentrum. Dies sind hauptsächlich Bildungsprojekte, die Frauen ermächtigen (englisch "to empower") sollen. Uns ist es ganz wichtig, dass Projekte Menschen helfen, ihre eigene Lebenssituation in den Griff zu bekommen, selbst etwas zu verändern, gerechtere Strukturen zu erwirken. Wir betreiben keine Charity, sondern verfolgen einen rechtsbasierten Ansatz. Die Projekte kommen aus dem Land selbst, d.h. sie werden von lokalen NGOs und kirchlichen Einrichtungen entworfen.

Betonen möchte ich auch unsere ganzheitliche Sicht auf den Menschen: Bei einem Bildungsprojekt mit Straßenkindern etwa reicht es nicht aus mit den Kindern zu arbeiten, es müssen auch die Eltern miteinbezogen werden, damit sie ihre Einkünfte so weit verändern, dass sie nicht mehr von den Arbeitseinkünften der Kinder abhängig sind.

dieStandard.at: Wesentlicher Bestandteil von jeglicher Projektarbeit ist die Evaluierung. Wie sieht dieser Vorgang bei einem Sozialprojekt aus, das noch dazu tausende Kilometer entfernt passiert?

Eva Wallensteiner: Wir arbeiten mit lokalen Institutionen und Konsulenten zusammen, die auf bestimmte Projektbereiche spezialisiert sind (z.B. Landwirtschaft). D.h. die Evaluierung wird von lokalen PartnerInnen durchgeführt. Jede Evaluierung hat mindestens diese zwei Seiten: Einerseits die Projektimplementierung, bei der überprüft wird, wie das Projekt von der Zielbevölkerung aufgenommen wird, welche Ergebnisse erzielt wurden im Vergleich zu den Zielsetzungen. Das zweite ist die Finanzevaluierung: Wie sind die Mittel eingesetzt worden? Wie sehen die Kontrollmechanismen vor Ort aus? Gibt es ein eigenes Projektkonto?

Bevor ein Projekt angenommen wird, geben wir eine Vorfinanzierungsstudie in Auftrag bei VorortkonsulentInnen. Darin wird geklärt, woraus sich die Finanzen der betreffenden Institution zusammensetzen, in welchem Bereich sie bisher gearbeitet haben. Bei einem neuen Projektpartner wird meist nach einem Jahr eine Evaluierung gemacht. Wir verstehen Evaluierung aber nicht nur als Kontrolle, sondern auch als Hilfe, um die Projektziele und Partnerorganisationen weiterzuentwickeln. Wir verstehen uns ja als PartnerInnen.

dieStandard.at: Wie misst man den Erfolg von Empowerment-Projekten?

Eva Wallensteiner: Das ist natürlich alles andere als einfach. Aber es gibt Möglichkeiten, z.B. wenn es um die politische Partizipation von Frauen geht. In Indien gibt es ja das System des Panchayats, die dörfliche Selbstverwaltung mit einem gewählten Gremium. Dieser '5er Rat' erarbeitet Pläne für die dörfliche Entwicklung und hat die Möglichkeit Geld vom Staat zu bekommen. Für uns als Geldgeber ist es wichtig, keine Parallelstrukturen zu etablieren, stattdessen wollen wir die Leute dazu befähigen, ihre Rechte auch einzufordern. Bei einer Evaluierung kann ich dann sehen, wie viele Frauen aus einem Projekt tatsächlich in den 5er Rat gewählt wurden. Die indische Regierung gibt ja auch eine Quotierung vor, in Westbengalen sind zum Beispiel 30 Prozent der Sitze für Frauen in der dörflichen Verwaltung reserviert. Die gesetzlichen Möglichkeiten sind also vorhanden.

Bei Evaluierungen arbeiten wir auch viel mit Interviews. Die Frauen erzählen darin in eigenen Worten, wie sich ihr Leben verändert hat. Gewählte Frauen berichten, für welche Themen sie sich eingesetzt haben und was sie umsetzen konnten. So gesehen wird der Erfolg eines Projektes dann schon sichtbar, wenngleich nicht immer quantitativ.

Die Evaluierung der Projekte findet meist in einem Zeitraum von 3 Jahren statt. Manche werden aber auch erst nach sechs Jahren überprüft. Ich selbst fahre einmal im Jahr zu den Projekten, um mir einen eigenen Eindruck zu machen. Diese Reisen sind ein wichtiges Instrument unserer Qualitätssicherung.

dieStandard.at: Wie streng sind Sie, wenn diverse Kennzahlen nicht stimmen?

Eva Wallensteiner: Wir sind eben nicht so 'streng' bei rein formalen Kriterien wie manch andere technokratischere Einrichtung. Bei uns steht das partnerschaftliche im Vordergrund. Ein Projekt, das länger braucht, oder Rückschläge hat, wird von uns nicht gleich abgestoßen. Uns ist vor allem Transparenz wichtig - in den Abläufen, in den Abrechnungen. Wenn Probleme auftauchen, überlegen wir gemeinsam mit den NGOs, was wir tun können. Wir haben auch keine fixen Vorgaben an unsere PartnerInnen, z.B eine Frauenquote. Aber wir fragen immer nach, wie viele Frauen dort arbeiten und schauen uns an, in welcher Funktion sie tätig sind. Deshalb hängen wir uns nicht an Zahlen auf.

dieStandard.at: Ist es oft vorgekommen, dass Projekte vorzeitig abgebrochen wurden?

Eva Wallensteiner: Oft nicht, Gott sei dank, aber es kommt vor, dass Gelder anders ausgegeben werden, als es in den Verträgen festgehalten ist. In meinem Arbeitsgebiet hat die KFB bisher ein Projekt mittendrin abgebrochen und es gab mehrere Projekte, deren Förderung nicht mehr verlängert wurde. Solche Informationen geben wir auch weiter, an unser Netzwerk in ganz Europa.

dieStandard.at: Sie können also den Ruf von NGOs nicht nur in Indien 'zerstören', sondern auch weltweit?

Eva Wallensteiner: In unserem Netzwerk geben wir negative wie auch positive Erfahrungen weiter. Wobei dies auf einer informellen Ebene abläuft, denn: Die Daten unserer PartnerInnen sind ja geschützt. Der Erfahrungsaustausch passiert auf inhaltlichen Vernetzungstreffen.

dieStandard.at: Stichwort Bildungsarbeit: Inwieweit binden Sie lokales Wissen in Ihre Bildungsprogramme mit ein?

Eva Wallensteiner: Wir verstehen unsere Bildungsprogramme als kultursensibel. Das Bildungssystem in Indien ist nach wie vor sehr auf das englische gestützt, womit das Auswendiglernen von akademischem Wissen gemeint ist. In unseren Projekten sollte es eher darum gehen, dass mit Freude gelernt wird. Wenn Küchengärten als etwas besonderes gezeigt werden, mag das sonderbar anmuten, aber tatsächlich ist es so, dass in den letzten Jahrzehnten sehr viel traditionelles Wissen entwertet und in den Dörfern immer weniger praktiziert wurde. Wir wollen das traditionelle Wissen fördern und unterstützen. Gerade was das medizinische Wissen anbelagt, den Umgang mit Kräutern und Pflanzen, ist sehr viel in Vergessenheit geraten, denn die westliche Medizin galt als das Wesentliche.

dieStandard.at: Letztlich führt dies zur Frage, was 'Entwicklung' überhaupt sein kann. Spielen solche Überlegungen bei Ihren Zielvorgaben eine Rolle?

Eva Wallensteiner: Das ist natürlich eine zentrale Frage, über die wir konsequent nachdenken. Der Anteil der westlichen Industriestaaten an der Abhängigkeit dieser Länder darf dabei ja auch nie vergessen werden. Für welche Art von Entwicklung können wir also wirklich stehen? Das divergiert manchmal zwischen uns und den Projektpartnern. Manche haben vielleicht die Einführung eines Flachbildschirms in jedem Haushalt als Entwicklungsziel: Für uns ist wichtig, dass die Menschen Entscheidungen treffen können, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können.

Und wir betreiben keinen Opferkult: Unsere Zielgruppe sind keine Opfer, die darauf warten, dass wir ihnen unter die Arme greifen. Das sind starke, aktive Personen, denen es manchmal nur an den finanziellen Mitteln und an Bildungsmöglichkeiten fehlt, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen.

dieStandard.at: Noch eine 'naive' Frage zum Schluss: Geht es den Frauen durch Empowerment besser?

Eva Wallensteiner: Ich reise seit 20 Jahren durch Indien und es sind mir Veränderungen aufgefallen: Im traditionellen Weltbild der Hindus dürfen Ehefrauen ihren Mann aus Respekt nicht mit dem Vornamen ansprechen. Noch in den 1990er Jahren war es zum Teil unmöglich, von den Ehefrauen herauszufinden, wie ihre Männer heißen. Heute hört man überall, wie Frauen ihre Männer beim Namen rufen. Hier wurde eine traditionelle Norm aufgebrochen, wodurch ein neues Verhältnis mit dem Ehemann entstehen konnte.

Die Organisation in Frauengruppen hat die Frauen überhaupt handlungsfähiger gemacht: Heute intervenieren sie als Gruppe, wenn sie von Gewalt in der Familie hören.

Die Vereinzelung von Frauen im familiären Setting haben die Frauengruppen also sicher entkräftet. Zu erkennen, dass die eigenen Probleme nicht individuelle Erfahrungen, sondern die meisten Frauen betreffen, ist ein großer Schritt. Ich sehe mehr Selbstständigkeit - ob es ihnen 'besser' geht, kann ich aber nicht generell sagen. (Das Gespräch führte Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 3.3.2008)