In Großbritannien heißt es: Skandal!
Bild: LP-Cover

Wien - Während auf den Klatschseiten der Presse gerade wieder Michael Jackson auftaucht und zugibt, seine Nächte gern mit fremden Kindern im Bett zu verbringen und alternde Stars wie Pete Townsend von The Who, Gary Glitter oder R. Kelly gegen massive Vorwürfe bezüglich Kinderpornografie oder gar Kindesmissbrauch zu kämpfen haben, singt die neue Nummer eins in den österreichischen Single- und Album-Verkaufscharts ganz offen das Lob der Pädophilie.

Das russische Mädchenduo t.A.T.u., bestehend aus der 16-jährigen Julia Volkova und der 17-jährigen Lena Katina, spielt als bis ins letzte Detail durchgerechnetes Designerprodukt sowohl mit dem Lolita-Klischee und dem offensichtlich noch immer bestehenden "Tabubruch" der lesbischen Liebe für interessierte ältere Herren, wie auch mit in diesem Fall möglicherweise zielführenderen Komponenten Geld gemacht wird.

Immerhin kann man mit einschlägigen Fotostrecken auf den beiden offiziellen Homepages, einer handzahmeren US-Version und der etwas deftigeren russischen Variante zwar diverse Onkels erfreuen, die manchmal Abwechslung von japanischen Schulmädchen in oder ohne Uniform im Internet suchen. Rein vom Image her haben wir es bei t.A.T.u. immerhin mit einem klassischen japanischem Bauplan zu tun, sozusagen der Softpornovariante unserer einst in fernöstlichen Animés brutal verniedlichten Heidi.

Das Teenagerpublikum, welches letztlich für die positiven Bilanzen bei t.A.T.u sorgt (t.A.T.u als russische Kurzform für: "Sie liebt sie"), wird aber mit anderem gewonnen. Mit gefällig rauem, simpel und eingängig nach vorne losböllerndem Synthiepop im Stile der beim Jungvolk extrem angesagten britischen Sugababes (Freak Like Me), unter anderem produziert vom britischen Tabubruch-Veteranen Trevor Horn, der schon in den 80er-Jahren die eher der Herrensauna zugeneigten Frankie Goes To Hollywood auf Kurs brachte.

Diese Musik wird mit einem rebellischen Image kurzgeschlossen. Eine offensichtlich gerade erst erwachte und gleich frech gegen die DIN-A4-Norm gebürstete Sexualität dient als Waffe des Aufstands im Kinderzimmer. Marke: Wenn du deine Eltern richtig ärgern willst, dann werde schwul!

Immerhin verkauft uns das Video zur aktuellen Hitsingle All The Things She Said nicht nur lesbische Kussszenen im schicken Look einer Welt, die gegen sich liebende Mädchen ist - worauf sich eine paranoide Verfolgungsjagd im metaphorischen Regen entwickelt. Dieses mittlerweile gerade in Großbritannien wieder einmal für einen hausgemachten "Skandal" bei BBC sorgende Gesellenstück in Sachen Pop und Provokation, moralisch besorgt begleitet von der dortigen Yellow Press, sorgt gerade auch deshalb für Aufsehen, weil es bei t.A.T.u. einen Mann im Hintergrund gibt, der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht.

Der russische Kinderpsychologe (!!!) und Werbefachmann Ivan Shapovalov baute t.A.T.u. als Manager und Macher in den letzten zwei Jahren mit dieser Taktik in Russland zu Superstars auf. In Interviews zum nun mit einjähriger Verspätung auch im "Westen" erschienenen Album 200 km/h In The Wrong Lane bekennt er recht offen, dass er neben dem Teenager-auch auf einen anderen globalen Markt spekuliere, auf "Männer, die nach Unterhaltung mit Kindern suchen". Immerhin handle es sich bei t.A.T.u. um ein von langer Hand geplantes "Minderjährigen-Sex-Projekt".

Wer schimpft, kauft

Obwohl man sich bei derartig spekulativer Dreistigkeit hier mehr als einmal an Malcolm McLaren, den berüchtigten Manager der Sex Pistols, und eine aus den Zeiten des Punk übernommene Taktik des medialen Vorschlaghammers erinnert: Man könnte bei t.A.T.u. schon auch hinterfragen, ob man hier neben der zynischen (und legalen!) Ausbeutung des Themas Kinderpornografie nicht auch einem anderen Thema einen schlechten Dienst erweist.

Immerhin geben Julia und Lena an, auch privat ein Liebespaar zu sein. Ob nun t.A.T.u. "gemacht" sind oder nicht: Lesbische Liebe (unter Minderjährigen!) noch im Jahr 2003 zum Aufreger zu machen, das ist hier der eigentliche Skandal. Die Medien ziehen erregt und begeistert aufgebracht mit. Auch schlechte Presse ist eine gute Werbung. Was letztlich auch dieser Artikel beweist. Liebe Kinder, wir leben in einer durch und durch verkommenen Welt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 6.2.2003