Wien – "Ich musste meine Schuhe ausziehen und schreien, um zwei Abgeordnete aus ihrem Nickerchen zu reißen", erzählte Emma Thompson schmunzelnd von ihrer Performance im Parlament zum Wiener Forum zur Bekämpfung des Menschenhandels. Von ihr stammt auch die Installation "Die Reise" am Wiener Heldenplatz, die sich mit dem Thema auseinandersetzt.
Aufrütteln will auch Michelle Mildwater, Teilnehmerin am Forum und NGO-Aktivistin, die auf den Straßen Kopenhagens afrikanische Prostituierte berät und betreut. Ihrer Meinung nach ist das Täter-Opfer-Verhältnis komplexer, als man meinen könnte. Oft seien Menschenhändler im engsten Umkreis des Opfers zu finden: Vater, Bruder, Onkel oder Nachbar.
Händler als Systemopfer
In Nigeria sei das keine Seltenheit, erklärt Mildwater. In einem von Krieg, Missmanagement und Korruption zerrütteten Land sind demnach auch manche Menschenhändler im weitesten Sinne zu Systemopfern zu zählen. Nicht immer seien es große, organisierte Kriminellenvereinigungen, die Menschenhandel betreiben, es gebe kleine Verbände, in denen Täter und Opfer miteinander verstrickt sind. Viele von Mildwater betreute Nigerianerinnen haben erst in Europa erfahren, dass sie in der Sex-Industrie arbeiten werden. In Italien oder Spanien, der ersten Station in Europa, werden sie zunächst "physisch und mental gebrochen", dann in andere Länder weitervermittelt.
Vom Wiener Forum erhofft sich Mildwater einen intensiven Dialog zwischen den NGOs und hochrangigen UN-Funktionären, "damit der Diskurs zum Thema Menschen- und Frauenhandel nicht nur theoretisch und akademisch geführt wird".
"Das Asylsystem im Westen ist sehr männlich dominiert", kritisiert Mildwater, "frauenspezifische Asylgründe werden nicht anerkannt." Opfer von Menschenhandel müssten besser geschützt werden, auch im Asylsystem. Weiters fordert sie bessere Schulungen der Behördenmitarbeiter im Umgang mit Opfern.
Appell an die Männer
Was kann jeder Einzelne im Kampf gegen Menschenhandel tun? Mildwater appelliert an alle Männer, mehr Verantwortung für ihre Sexualität zu übernehmen und sich nicht vom Mythos der "sauberen, freiwilligen Prostitution" täuschen zu lassen: Auch in Nachtclubs und "ordentlichen" Bordellen seien Opfer von Menschenhandel beschäftigt. Die strikte Trennung von Bordell- und Straßenprostitution sei eine Fiktion, die meisten dieser Frauen seien "an beiden Fronten" tätig.
Wie Mildwater hält auch Emma Thompson nichts von einer Kriminalisierung der Kunden: "Dann wären 40 Prozent der Briten kriminell", polemisierte sie vor Journalisten. Auch der britische Menschenrechtsaktivist Steven Chalke fordert mehr Sensibilität und Problembewusstsein in unserer Lebensführung ein: "Wenn wir Schokolade essen, auf der nicht 'Fair Trade' steht, haben wir Blut auf unseren Zähnen. Ein solches Gütesiegel ist für die Sexindustrie nicht denkbar. Die Kunden sollten aber ihr Konsumverhalten hinterfragen und sich über die Konsequenzen ihres Handelns im Klaren sein." (Mascha Dabič, Elizabeth Assmann/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.2. 2008)