Ute Amerstorfers Leidenschaft für die Physik wurde durch das Fernsehen geweckt.
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Von der Größe und der Entfernung zur Sonne wären die Planeten Erde, Venus und Mars miteinander vergleichbar. Doch nur der blaue Planet hat ein Magnetfeld, das gegen den Sonnenwind schützt, flüssiges Wasser auf der Oberfläche, eine Stickstoff-Sauerstoff-Atmosphäre sowie Druck und Temperaturverhältnisse, die Leben, wie wir es kennen, ermöglichen. Welche Prozesse die unterschiedliche Entwicklung beeinflusst haben, untersucht Ute Amerstorfer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz.

Die Linzerin beschäftigt sich mit der sogenannten Kelvin-Helmholtz-Instabilität, die den Verlust von Gasmolekülen und Wasser in den obersten Luftschichten im Zeitraum von Jahrmillionen beschreiben hilft: "Ich untersuche, welche Parameter die Instabilität beeinflussen, welche Wachstumsraten, Wellenlängen und Frequenzen auftreten, ob sich Plasmawolken ausbilden und ablösen und wie viele Teilchen dadurch verlorengehen könnten", so die 26-Jährige.

Mit Collegeblock, Bleistift und - als wichtigstes Utensil - einem Radiergummi leitet die Physikerin das Gleichungssystem her und berechnet die Lösung am Computer.

Bis zum Beginn ihres (noch nicht genehmigten) FWF-Projekts wird sie durch das Stipendium For Women in Science, vergeben von L'Oréal, Unesco, Akademie der Wissenschaften und dem Wissenschaftsministerium, unterstützt und kann sich inzwischen auf Publikationen konzentrieren. Im FWF-Projekt möchte sie das Modell aus ihrer Dissertation weiterentwickeln, um noch genauere Aussagen über die beiden Nachbarplaneten zu treffen. Die Theorien zur atmosphärischen Entwicklung sollen darin mit den Messdaten der Raumsonden für Venus und Mars überprüft werden.

Das Interesse und Talent für Mathematik, die "Sprache der Physik", hat Ute Amerstorfer wohl von ihrer Mutter geerbt. Den Anstoß für die wissenschaftliche Karriere gab eine TV-Dokumentation über eine Antarktisexpedition, bei der eine Geophysikerin die Atmosphäre untersuchte. An der Universität Graz belegte sie mit diesem Berufsziel vor Augen das Fach Physik.

Zusätzlich hat sie 2004 mit Umweltsystemwissenschaften angefangen, um ihren zweiten Interessenbereich abzudecken. Ein Erasmus-Jahr verbrachte sie an der Universität Leipzig, insgesamt drei Forschungsaufenthalte am Swedish Institute of Space Physics und dem Institute of Computational Modelling in Krasnojarsk, Russland. Dort etablierte die junge Forscherin Kooperationen und entwickelte ihre Arbeit methodisch weiter.

Die (inter-)nationale Zusammenarbeit hält sie für notwendig, um "Flexibilität und Gruppengeist zu lernen sowie den Gedankenaustausch zu pflegen".

Über Rollenbilder in den Wissenschaften hat sie auch einiges zu berichten: Viele Menschen seien zumindest "überrascht, dass ich Physikerin bin". Sie versucht daher junge Frauen zu ermuntern, sich nicht von gängigen Vorurteilen abhalten zu lassen.

In der Freizeit richtet sie gern auch ihr Teleskop auf Nebel, Galaxien oder Sternhaufen und fotografiert sie. Das Mittelalter hat es ihr ebenfalls angetan: Gemeinsam mit ihrem Freund stellt sie Alltagsgegenstände, Kleidung und Schuhe selbst her - im Stil des 14. Jahrhunderts. Mit ihrer Honda Dominator oder wandernd unternimmt sie auch einmal ein- bis mehrtägige Touren. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe 13.02.2008)