Symbolbild eines Schwarz-Grün Sticker

Grafik: Redaktion

Die Situation, in der sich die Grünen nach der Nationalratswahl vom 24. November wiederfanden, war einigermaßen prekär: Zum einen hatten sie zwar dazugewonnen, zum anderen aber fiel ihr Anstieg von 7,4 auf 9,5 Prozent um einiges bescheidener aus, als sie nach den vorangegangenen Meinungsumfragen erwarten durften. Zwar reichte es für einen "Europarekord", wie euphemistisch postuliert wurde, und zu einem Zugewinn von drei Mandaten im Nationalrat. Mit 17 Abgeordneten sind die Grünen so stark wie noch nie in ihrer Geschichte vertreten.

Doch die großen Wahlziele wurden verfehlt. Die schwarz- blaue Mehrheit stand noch immer, obwohl sie am rechten Rand zerbröselt war. Die angestrebte Regierung links der Mitte ging sich nicht aus, und Kanzler Wolfgang Schüssel sah sich über Nacht in die glückliche Lage versetzt, unter drei Koalitionspartnern wählen zu können.

Die Grünen brauchten etwas länger, bis ihnen klar wurde, dass auch sie einer davon sein könnten. Zu kategorisch hatten sie sich vor dem Urnengang auf zwei Optionen festgelegt: entweder mit der SPÖ eine Regierung zu bilden oder in der Opposition zu bleiben. Die Möglichkeit einer Regierung mit der ÖVP wurde als bestenfalls "akademisch" eingestuft - zu unwahrscheinlich schien der Gedanke, die ÖVP könnte die SPÖ überflügeln. Entsprechend forsch sagten die Grünen den Verbleib in der Opposition an, ehe sie darangingen, das bisher Undenkbare nicht nur zu denken, sondern auch auf seine Machbarkeit hin zu prüfen. Dem Sirenengesang der ÖVP, der den "Charme" einer schwarz-grünen Konstellation pries, konnte vor allem die Bundesspitze nicht mehr widerstehen. Aus "Verantwortung für das Land und zur Verhinderung von Schwarz- Blau", so heißt es jetzt, wird nun mit der ÖVP sondiert.

Bundessprecher Alexander Van der Bellen und seine Mitstreiter bewegen sich dabei auf schmalem Grat. Auch wenn der grüne Parteichef nach bestem Vorbild dazu schweigt - im Vergleich zu Van der Bellen ist Schüssel als Kommentator der Sondierungsgespräche die reinste Plaudertasche -, kann er die warnenden Stimmen aus der eigenen Partei nicht überhören. Die kommen aus den Landesorganisationen, der bisher schweigsamen Gewerkschaft und der mächtigen Wiener Partei. Vor allem in Wien steht Parteichef Christoph Chorherr als Befürworter einer schwarz-grünen Regierung einsam da. Die Basis droht mit Konsequenzen, wobei die Ankündigung, gegen eine grüne Regierungspartei Oppositionspolitik zu betreiben, die geringere Drohung ist. Über eine Abspaltung wird laut nachgedacht, und die Aussicht auf ein "grünes Knittelfeld" stärkt den Verhandlern nicht eben den Rücken.

Tiefes Misstrauen

Die Argumente dieser Gruppen sind von tiefem Misstrauen geprägt, das der rustikale Wahlkampfstil der ÖVP hinterlassen hat. Die grünen Landesorganisationen erinnern bei jeder Gelegenheit daran, wie sehr ihnen die bösen Worte von den "Haschtrafiken" und der drohenden Einführung eines allgemeinen Vegetarismus geschadet hätten. In Wien verweisen die Basisbewegten auf ihre Proteste gegen die Asylpolitik Ernst Strassers. Selbst in der angeblich geschlossenen Parteispitze warnen einige hinter (noch) vorgehaltener Hand, die ÖVP missbrauche die Grünen für ein durchschaubares Spiel: Eine schwarz-grüne Regierung brächte Kanzler Schüssel auf internationaler Ebene ein gutes Stück der Reputation zurück, die er mit der Hereinnahme der FPÖ in seine erste Regierung verspielt habe und seither schmerzlich vermisse. Und nur dafür sollte man sich nicht zur Verfügung stellen.

Noch werden solche Unkenrufe von der offiziellen Sprachregelung übertönt, die da lautet: Die Beteiligung der Grünen an einer konservativ dominierten Regierung erschließe für die Zukunft ein bisher unerreichbares Wählerpotenzial, weil sie mit dem Schreckgespenst der unberechenbaren Chaostruppe Schluss machen würde. Sie müsse nur erfolgreich sein - doch daran, wie dieses "nur" zu erreichen ist, scheiden sich bereits jetzt die Geister. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 5.2.2003)