"Gendersymmetrie" ist aus Maria Pobers Dissertation hervorgegangen, die mit dem Maria Schaumayer-Preis ausgezeichnet wurde.
Buchcover Gendersymmetrie

Die Vernachlässigung der Gendersymmetrie in der lexikalisierten deutschen Sprache hat die Linguistin Maria Pober zum Anlass genommen, sich einem mächtigen Forschungskorpus zu widmen. Für ihre "Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines Genderwörterbuches im Deutschen" - so der Titel des entstandenen, beinahe 600 Seiten starken Werks - hat sie die wichtigsten Wörterbücher des deutschen Sprachraums wie den Großen und Kleinen Duden oder die letzte Ausgabe des Großen Wahrig analysiert.

Männlichkeit auf-, Weiblichkeit abgewertet

Die Wissenschaftlerin geht der Frage nach, wie und ob die Umsetzung der Gendersymmetrie nach dreißig Jahren Feministischer Sprachkritik und der Etablierung Feministischer Forschung erfolgt ist, wer wie und in welcher Weise versprachlicht ist. In diesen Standardwörterbüchern wird Pober zufolge der Mangel einer qualitativen Feminisierung bzw. Maskulinisierung des Wortschatzes offensichtlich: Männlichkeit wird in Abgrenzung zu Weiblichkeit aufgewertet und letztere gleichzeitig abgewertet, obwohl dies nicht in der Intention der HerausgeberInnen liegt, die explizit die Gegenwartssprache in ihren wichtigsten Strömungen berücksichtigen wollen.

Große Unbekannte

Die Autorin hält fest: "Die Versprachlichung der Frau zu Beginn des 21. Jahrhunderts entspricht nicht ihrem Personenstatus. Als weiblicher Mensch, ohne spezifisches Alter, ist sie die große Unbekannte, in ihrer Zu- und Unterordnung zum Menschen an sich - dem männlichen Menschen - hingegen ist sie äußerst bekannt, - nämlich als Liebhaberin, Ehefrau, Mutter, Hausfrau und nicht zuletzt als Sexarbeiterin."

Aber warum wird die Frau bis heute vor allem als Menschenweibchen und in nur ganz wenigen Aspekten als weiblicher Mensch versprachlicht, während der Mann schlechthin den männlichen Menschen fast ohne Anteile des Menschenmännchens repräsentiert?

Qualitative Analyse

Für Pober steht fest, dass diese Abwertung des Weiblichen in der deutschen Sprache nicht erst durch Konnotationen entsteht, sondern in der Wortbedeutung selbst liegt: Sie beschränkt sich deshalb nicht - wie in der nicht systematisch durchgeführten feministischen Wortschatzkritik üblich - auf eine exemplarische Auswahl und Analyse von Basislexemen für die Frau und den Mann (wie frau / weib // dame // mädchen : mann // herr // bub / junge / knabe), sondern unternimmt eine Herausarbeitung bestehender präfeministischer Konzeption des weiblichen und männlichen Menschen. Ihre Wörterbuchkritik ist nicht nur quantitativ, sondern vor allem qualitativ angelegt: ausgewählte feminine und maskuline Personenbezeichnungen werden in Hinblick auf ihre Artikeldefinition, Sublemmatisierung, Polysemie sowie ihre Sinnrelationen einer gendersymmetrischen Analyse unterzogen - und so kommt Pober auf die stolze Zahl von etwa 2024 analysierten Lemmata.

Präfeministische Versprachlichung

Tabellarisch gegenübergestellt, wird der weibliche und männliche Geschlechtscharakter in seinen bis heute vor allem androzentrischen und keineswegs gynozentrischen Bestandteilen auf einen Blick lesbar. Diese Versprachlichung männlicher Überlegenheit äußert sich in einer "Idealisierung und Meliorisierung des Männlichen bei gleichzeitiger Hyperrealisierung und Pejorisierung des Weiblichen", so Pober.

Strukturell lässt sich diese Höherbewertung in der Vermenschlichung und Vergrößerung männlicher Personenbezeichnungen und Sachverhalte bei gleichzeitiger Minderbewertung und Undifferenziertheit des Femininums und des Weiblichen in der Verdinglichung und Verkleinerung weiblicher Personenbezeichnungen und Sachverhalte zeigen.

Die Lexik der Gegenwart wurde weder durch die Feminisierung mit dem Suffix "–in" noch mit der Einführung der Komposita mit dem Grundwort "–frau" tangiert, "weil es sich um eine einfache quantitative Ergänzung weiblicher zu männlichen und männlicher zu weiblichen Personenbezeichnungen handelte, die aber qualitativ und konzeptionell nichts an der Versprachlichung des präfeministischen weiblichen und männlichen Geschlechtscharakters änderte", schreibt Pober.

Aufbrechen

Diese traditionelle Geschlechterdifferenz, im "Geschlechtscharakter" festgeschrieben, muss Pober zufolge dekonstruiert werden, da allgemein menschliche Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen allen Menschen offen stehen, sei sie oder er nun einE Hetero-, Homo-, Bi- und TranssexuelleR oder einE TransgenderIn, d.h. in irgendeiner Weise von der maskulinen Heteronormativität abweichend, - also queer.

Sollte es also den Willen geben, ein deutsches Genderwörterbuch herauszugeben - den Grundstein hat Maria Pober mit "Gendersymmetrie" jedenfalls gelegt. (red)