Susan Sontag etwa ein Jahr vor ihrem Tod.
MICHAEL PROBST

"Meine gesamte Arbeit ruft zu Aufrichtigkeit, Mitgefühl und Offenheit auf", erklärte Susan Sonntag 1992 in einem "Time"-Interview. Was sie theoretisch voller Inbrunst in all ihren Texten von anderen gefordert hat, setzte sie selbst beharrlich um. Nicht umsonst galt - und gilt - die Amerikanerin weltweit als eine der bedeutendsten, intelligentesten und vielseitigsten Frauen des Jahrhunderts. Ein hart erkämpfter Ruf, der dem Gesetz der Logik folgend, auch einen Gegenpol beinhaltet. Denn so vergöttert sie auf der einen Seite war, so polarisierend wurde sie auf der anderen Seite eingestuft: als aufrührerisch und Unruhe stiftend.

Frühreif auf allen Ebenen

Am 16. Jänner 1933 in New York als Susan Rosenblatt geboren, wuchs sie in einer bürgerlich-jüdischen Familie auf. Vom Lesen war sie besessen, sie verschlang Enzyklopädien und besonders gerne Edgar Allan Poe. Schon mit vierzehn Jahren wurde sie von Thomas zum Tee geladen, um mit ihm seinen Roman "Der Zauberberg" zu diskutieren. Mit sechzehn kam sie an die Uni von Chicago, an der sie Französisch, Literatur und Philosophie studierte. Kaum siebzehn wurde sie Ehefrau, kurz darauf Mutter.

Es folgten Studienaufenthalte in Berkeley, Oxford, Harvard - hier schrieb sie ihre philosophische Dissertation - , Cambridge und Paris. 1959 ging sie, frisch geschieden und mit ihrem siebenjährigen Sohn David, nach New York, um ein neues Leben und mit dem Schreiben zu beginnen. Sie schrieb über das französische Kino, europäische Fotografie, Ethik, Ästhetik, Kunst ... und wurde innerhalb kurzer Zeit zu Amerikas Parade-Intellektueller.

Ab 1962 erschienen ihre Essays - wie beispielsweise "Against Interpretation" (1966),
"Styles of Radical Will" (1969), "On Photography" (1977) - in avantgardistischen Kunst- und Literaturzeitschriften. Sie selbst sah sich, anders als ihre KritikerInnen, vor allem als Romanautorin. Dazwischen drehte Susan Sontag Filme wie "Duet for Cannibals" in Schweden, stellte sich selbst vor die Kameras von Woody Allen und Andy Warhol und inszenierte 1992 im zerstörten Sarajevo Samuel
Becketts "Warten auf Godot". Der Roman "In Amerika" brachte ihr im
Jahr 2000 den National Book Award ein. Und der Deutsche Buchhandel verlieh ihr 2003 den Friedenspreis.

Ausgeprägtes politisches Gewissen

Wieder und wieder zeigte sie nicht bloß theoretisch die wahnwitzigen Wunden der Gesellschaft auf. So wie sie während des Vietnam-Krieges 1968 in Hanoi war, reiste sie zur Zeit des Krieges in Jugoslawien 1993 nach Bosnien und verbrachte dort drei Jahre im besetzten Sarajevo. 2001 kritisierte sie anlässlich einer Preisrede in Jerusalem die Palästina-Politik Israels als verhängnisvoll. Und auch die Heuchelei der US-Regierung angesichts des Folterskandals im Abu-Ghraib-Gefängnis 2004 ließ sie nicht unwidersprochen. In ihrem Fotoband "Das Leiden anderer betrachten" übte sie massive Kritik.

Als Susan Sontag 1976 die diafnose Krebs erhielt, unternahm sie mit dem Essay "Krankheit als Metapher" einen Versuch der Verarbeitung. Genauso zwölf Jahre später mit ihrem Werk "Aids und seine Metaphern": "Was einen umbrachte, waren nach meiner Überzeugung die Ammenmärchen und Metaphern rund um den Krebs. Die Menschen sollten Krebs einfach als Krankheit begreifen lernen - eine ernste Krankheit, aber eben eine Krankheit, weder Fluch noch Strafe, noch Peinlichkeit ... und nicht zwangsläufig eine Krankheit zum Tode" (zitiert in: Berühmte Frauen Kalender 2008).

Sie selbst starb daran, am 28. Dezember 2004 in New York. Begraben wurde die große Denkerin auf dem Friedhof Montparnasse in Paris. (dabu)