Viennale
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Wien - Die Richtung gibt der Regisseur vor. Ein junger Mann (Wylie Wiggins) nimmt Platz in einem fahrenden Boot, der Insasse neben ihm, Richard Linklater, sagt, wohin's geht. Als er wieder aussteigt, liegt ein Zettel auf der Straße, darauf steht: "Schau nach rechts." Von dort kommt nämlich das Auto, das ihn überfahren wird.

Ist er tot? Oder träumt er nur ohne Ende? Das bleibt in Waking Life offen. "Dream is Destiny", heißt es schon zu Beginn des Films, und um diese Auffassung wird es gehen, wenn der namenlose Held eine Serie von wissenschaftlichen Gesprächen führt, die sich mit Fragen der Subjektivität, dem (vermeintlich) freien Willen des Menschen oder auch dem Eindruck der Zeitlichkeit auseinander setzen.

Ein Philosoph verteidigt Sartres Existenzialismus gegen postmoderne Theorien, ein Filmwissenschafter führt André Bazins Thesen zur Ontologie des Kinos aus, während ein Biologe über die Beschaffenheit des Körpers schwadroniert und mit einem Mal selbst zum Wassergefäß wird: Letzteres ist möglich, weil Waking Life ein Animationsfilm ist, allerdings einer, der auf einer ungewöhnlichen Technologie beruht.

Der Film wurde zunächst auf Digitalvideo mit realen Darstellern, Professionellen wie Laien, gedreht, was als Vorlage für die Entwürfe einer Reihe von Zeichnern diente. Mittels einer neuartigen Rotoskopieanimation wurden ihre Bilder schließlich wieder im Computer in Bewegung versetzt, das Video somit quasi übermalt, wobei das Resultat - anders als bei konventionellen Zeichentrickfilmen - die Handschrift der einzelnen Zeichner nicht auslöscht, sondern vielmehr bewusst hervorhebt.

Für den diskontinuierlichen Parcours durch einen Traum, der ja jeder herkömmlichen narrativen Logik trotzen soll, erlaubt dieses Verfahren die notwendigen Freiheiten: Nicht nur die Figuren, ganze Räume beginnen so zu wabern und sich zu strecken, Argumente lassen sich visuell verdeutlichen wie die herrschenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten jeder Zeit außer Kraft setzen.

Linklater behält dabei die lose Erzählstruktur seiner früheren Filme, ob in Slacker oder Dazed and Confused, bei, von jeder Szene führen beliebige Anschlüsse in die nächste. Der Traumwandler durchlebt während seiner von Tangoakkorden begleiteten Reise allerdings eine Art von Bewusstwerdungsprozess: Gilt der erste Teil der - mitunter geschwätzigen - Ergründung der menschlichen Handlungsfähigkeit, so nimmt er später selbst die Zügel in die Hand und versucht aufzuwachen.

Schleichende Paranoia

Es sind die profanen Erkenntnisse, die in Waking Life die magischste Aura behalten: die Unfähigkeit in diesem Zustand Digitaluhren abzulesen, die Unmöglichkeit, Einfluss auf das Licht zu nehmen. Durch solche wiederkehrende Motive schleicht sich eine leise Paranoia in den Film ein, die in dem Umstand besteht, dass - nicht nur im Traum - andere über unser Geschick (mit-)entscheiden, der freie Wille also begrenzt ist.

Am nachhaltigsten verfestigt sich jedoch der Eindruck der Bilder selbst, die zwischen Comicreduktion und fast impressionistischer Farbgebung mäandern, durch die man, ähnlich wie die dem Träumer, bisweilen ganz schwerelos schwebt. Wenn der Regisseur am Ende diesem ein "Just wake up" mit auf den Weg gibt, er aber weiterträumt, weiß man nur zu gut, warum. (DER STANDARD; Printausgabe, 15.1.2003)