Mathias Rüegg

Foto: VAO

Das Vienna Art Orchestra und sein Leiter Mathias Rüegg musizieren auch zum Jahreswechsel: Im Porgy & Bess gibt man Johann Strauß und Duke Ellington. Ein Gespräch mit dem Komponisten, Arrangeur und Manager Rüegg über Jazz in Österreich, Politik und mangelnde Konkurrenz.


Wien - Irgendwo in der verbalen Würdigungsfuge zu seinem 50. Geburtstag, den er am 8. Dezember feierte, fiel der "witzige" Satz, ohne ihn, Mathias Rüegg, wäre die österreichische Jazzszene "ein bisschen ärmer". Bei dem Satz lachte man ein bisschen, aber es war ein als Lachen getarn- tes Staunen, dem ein wenig Schrecken beigemischt war.

Er fuhr einem ein bisschen in die Glieder, denn unweigerlich ließ man die letzten zweieinhalb Jahrzehnte Revue passieren und sah, was es alles nicht gäbe, hätte der Wehrdienstverweigerer und ausgebildete Volksschullehrer aus dem Kanton Graubünden nicht irgendwann beschlossen, nach Graz und dann nach Wien zu kommen.

Natürlich kann man behaupten, damals - vor 25 Jahren - wäre die Zeit sowieso reif gewesen; ein Ensemble wie das Vienna Art Orchestra wäre auch ohne Rüegg gegründet worden. Auch kann man behaupten, der Bedarf nach einem international renommierten Jazzklub wie dem Porgy & Bess war einfach da, weshalb ihn, wenn nicht Rüegg, dann eben jemand anderer gegründet hätte. Und schließlich der Jazzpreis, der mittlerweile 45.000 Euro an die Szene ausschüttet: Preise gibt es hierzulande ja für alles - also wäre die Idee, auch dem Jazz einen zu widmen, umgesetzt worden, auch wenn Rüegg es nicht geschafft hätte. Könnte man sagen. Die normative Kraft der Tatsachen ist allerdings ein bisschen dagegen.

Der Mann, der vor einem sitzt, ist zu Eigenlob und tiefer Rückschau nicht zu bewegen. Auch angesichts seines Fünfzigers nicht, von der Symbolik der Zahl hält er nicht wirklich viel. Von einer Existenz "am richtigen Ort, zur richtigen Zeit" hört man da, von der "richtigen Energie", die er eben gehabt hätte, und von der Konkurrenz, "die ich nicht hatte. Ich wollte den Jazz immer rausholen aus dem miefigen Jazzkeller, in dem nur Männer mit Glatze sitzen."

Ein bisschen spürt man: Die Vergangenheit und ihre positiven Errungenschaften sind nur so viel wert, wie ihre Verankerung in der Gegenwart. Und um sie muss auch heute noch "gerauft" werden, was heißt: verhandelt - unter anderem mit der Politik.

"Es ist mühsam, es bleibt mühsam! Die Gespräche über das Budget 2003 laufen noch mit Stadt und Bund, ich kämpfe um eine Erhöhung für das Art Orchestra. Davon hängt auch ab, welche Projekte in Zukunft möglich sind. Der Jazz hat historisch gesehen hierzulande keinen Stellenwert. Aber so, wie Wien die Stellung als Klassikmetropole irgendwann womöglich verlieren wird, so wird sich auch da etwas tun. Es wird alles universeller, die Jungen haben bessere Info-Möglichkeiten. Irgendwann wird man den Jazz nicht nur als rein amerikanische Musik begreifen. Ich werde mit Morak auch darüber reden, einen eigenen Förderungsschwerpunkt Jazz einzurichten. Es geht da nicht um wahnsinnige Summen", sagt Rüegg und zündet sich die nächste Zigarette an.

Noch immer geht es ihm wohl so, wie es dem Orchester geht. In den späten 80er-Jahren muss es ihm also schlecht gegangen sein, da gab es ein Tief. "Man kann natürlich sagen, dass wir etwas poliert klingen. Mittlerweile haben wir aber jenes Niveau, das mir vorschwebt - auch in der Gesamtinszenierung. Das Angebot, beim Art Orchestra zu spielen, bedeutet den Musikern etwas - das war nicht immer so. Es braucht ja Typen, die wollen, dass die Band gut klingt, und dennoch die Herausforderung als Solisten suchen." Aufgegeben hat er die Idee eines Tourneezeltes, das die unvermeidlichen akustischen Überraschungen immer neuer Säle eliminiert hätte: "Das war tatsächlich ein Wunsch. Aber mit einem Zelt kommt man nie ins Zentrum einer Stadt - und 1000 Leute an den Stadtrand zu locken schaffen wir nicht."

Doch, ein bisschen was hat sich geändert im Verhältnis zwischen VAO und Rüegg. "Das Art Orchestra ist ein Hobby, das ich mir leiste", ist mittlerweile seine Definition; er kann sich einen Rüegg ohne VAO vorstellen. Aber das ist wohl auch nur so ein Gedanke, auch bisher hat er ja Projekte nebenher geschafft. Bei Mortiers Ruhrtriennale organisiert er nächstes Jahr einen Schwerpunkt (120 Formationen werden gastieren), er schreibt auch klassisch orientierte Musik.

Und Angebote, in Österreich - auch in Wien - Festivals zu leiten, gab es dreifach. Die hat er abgelehnt. Er findet aber, dass es in Wien noch ein anspruchsvolles Fest geben sollte, im Herbst etwa. Er würde es nicht machen. "Das wäre womöglich schon zu viel Macht in einer Hand."

Alle "Macht" hat übrigens nicht ausgereicht, ihm eine österreichische Staatsbürgerschaft zu geben. "Irgendwann in den 80er-Jahren war jemand vom Bundeskanzleramt da und bot sie mir an. Ich hätte die Schweizer Staatsbürgerschaft aufgeben müssen, das wollte ich nicht. Ich würde sie aufgeben - für einen europäischen Pass oder für einen Wiener Pass. Der Rest Österreichs hat ja wenig damit zu tun, was ich im Leben gerne tue." Parteipolitik gehört nicht dazu: "Es ist schon ein starkes Stück, dass man hierzulande so viele Künstler einer Partei zuordnen kann. Die einzige Chance für einen Künstler ist die Opposition - außerhalb aller Parteien. "
(DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.12.2002)