Nordkoreas Atomprogramm

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Grafik: Standard

Pjöngjang/Seoul/Washington/ Peking - Nordkorea könnte nach einer Wiederaufnahme seines Atomprogramms jedes Jahr bis zu 55 Atombomben bauen. Wenn das kommunistische Land den Reaktor Yongbyon wieder hochfahre und zwei weitere Kraftwerke fertigstelle, könnten pro Jahr bis zu 275 Kilogramm Plutonium gewonnen werden, verlautete aus Kreisen der US-Regierung. Für eine Atombombe werden etwa fünf Kilogramm benötigt. "Es würde mich nicht überraschen, wenn sie versuchen zurückzurudern und nach einem Weg suchen, um (aus dieser Situation) wieder herauszukommen. Sie haben nämlich alle gegen sich", ließ sich allerdings ein Regierungsbeamter in Washington zitieren.

Der Direktor der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in Wien, Mohammed ElBaradei, nannte die Situation "sehr beunruhigend". Nordkorea dürfte ein bis zwei Monate benötigen, um den Fünf-Megawatt-Reaktor in Yongbyon betriebsbereit zu machen. Nordkorea hat nach Angaben eines Sprechers des südkoreanischen Außenministeriums mittlerweile die Siegel und Überwachungskameras der Vereinten Nationen an einer vierten Atomanlage zur Herstellung von Brennstäben entfernt. Damit sind inzwischen alle Anlagen in Yongbyon bis auf zwei nicht funktionsfähige Reaktoren entsiegelt worden.

Die chinesische Regierung wird von den nordkoreanischen Alleingängen bei der nuklearen Aufrüstung offenbar ebenso wie alle Nachbarstaaten überrascht und vor vollendete Tatsachen gestellt. Zwei Tage brauchte das Außenministerium, um in einer allgemein formulierten Stellungnahme Pjöngjang und die USA aufzufordern, die durch die Entsiegelung von Atomanlagen ausgelöste und durch die Lieferung von Brennstäben verschärfte Krise im Dialog zu lösen und zu den Vereinbarungen des Atomabkommens von 1994 zurückzukehren. Dabei machte China deutlich, dass es "alle Anstrengungen unterstützt, die koreanische Halbinsel als atomwaffenfreie Zone zu erhalten".

Peking hilflos

Hinter den Kulissen scheint die Aufregung, aber auch Hilflosigkeit in Peking groß zu sein. Chinas Behörden bestätigten Telefonate am Mittwoch zwischen Chinas Führung und Russlands Präsident Wladimir Putin. Beide hatten erst Anfang Dezember in Peking in einer gemeinsamen Resolution an Nordkoreas Führung appelliert, keine nukleare Aufrüstung zu betreiben. Sie sehen sich nun herausgefordert, weil ihr Druck wirkungslos geblieben ist. Chinas Staatspräsident Jiang Zemin hatte schon während seines Treffens mit US-Präsident George W. Bush Ende Oktober bei der Frage über Nordkoreas jüngste Atomwaffenpläne eingeräumt, dass Peking "über das Programm völlig im Dunkeln gelassen wurde". China muss dabei dem ehemaligen Verbündeten nicht nur mit Reis aushelfen, sondern mit immer mehr Öllieferungen einspringen. Peking ist längst selbst Nettoimporteur und muss Öl auf dem Weltmarkt zukaufen. Ein weiterer wirtschaftlicher Zusammenbruch Nordkoreas würde nicht nur zur militärischen Gefahr, sondern könnte neue Flüchtlingsheere nach China treiben. (Reuters, AP, erl/DER STANDARD, Printausgabe, 27.12.2002)