"Habe nicht damit gerechnet, dass es so lange dauern wird."

STANDARD: Der Euro ist seit knapp einem Jahr als Bargeld im Umlauf, und laut einer aktuellen Gallup-Umfrage rechnen 85 Prozent der Österreicher noch immer in Schilling. Haben Sie mit einer derart langen Eingewöhnungszeit gerechnet und was sind die Gründe dafür?

Liebscher: Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so lange dauern wird, bis sich die Leute an die neue Währung gewöhnen. Andererseits ist es nicht unverständlich, dass viele noch in Schilling denken. Schließlich haben sie Jahrzehnte mit dieser Währung gelebt. Ich stelle aber fest, dass das Wertverständnis für den Euro von Tag zu Tag besser wird. Und ich würde jedem empfehlen, sich möglichst schnell auf den Euro einzustellen.

STANDARD: Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Ernst Welteke, gab in einem Interview zu, sich auch nach einem Jahr noch nicht voll an den Euro gewöhnt zu haben und für Preisvergleiche in D-Mark umzurechnen. Haben auch Sie den Schilling noch im Hinterkopf?

Liebscher: Es wäre gelogen, wenn ich Nein sagen würde. Auch ich habe den Schilling teilweise noch im Hinterkopf. Weniger bei kleinen Beträgen, etwa dem Preis für einen Kaffee oder eine Packung Zigaretten, aber bei großen Beträgen. Da rechne auch ich noch in Schilling um. Dabei ist die Umrechnung eigentlich irrelevant, weil ich zum Beispiel auch früher nicht gewusst habe, was eine Waschmaschine kostet. Ein interessanter Aspekt ist mir dabei aufgefallen: Wenn ich im Ausland bin, denke ich gar nicht an den Schilling. Aber kaum bin ich wieder in Österreich, rechne ich dies und das gedanklich in Schilling um.

STANDARD: In der Bevölkerung gilt der Euro als Teuro. Laut einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Eurobarometer-Umfrage verbinden 84 Prozent der Österreicher die Währungsumstellung mit einem deutlichen Preisanstieg. Die Statistik beweist das Gegenteil. Die Verbraucherpreise sind heuer in Österreich nur um 1,7 Prozent gestiegen - der drittniedrigste Wert in der Eurozone. Warum diese Diskrepanz?

Liebscher: Es ist unbestritten, dass es in einzelnen Bereichen zu Preiserhöhungen gekommen ist - nicht zuletzt im Bereich der öffentlichen Hand. Dadurch ist eine "gefühlte Inflation" entstanden, die nichts mit der Realität zu tun hat. Wenn zum Beispiel der Kaffeepreis in Brasilien steigt, hat das auch Auswirkungen auf den Kaffeepreis in Österreich. Ein daraus resultierender Preisanstieg steht aber in keinem Zusammenhang mit der Währungsumstellung auf den Euro. Die "gefühlte Inflation" ist das Problem.

STANDARD: Viele Österreicher klagen über die "Münzwirtschaft" in ihren Geldbörsen und hätten gerne kleinere Banknoten, etwa Ein- und Zwei-Euro-Scheine. Können sie darauf hoffen und wann könnte es so weit sein?

Liebscher: Mein Eindruck ist, dass sich die Österreicher im Großen und Ganzen relativ gut an die Euromünzen gewöhnt haben. Jedenfalls gibt es nicht mehr den Druck in Richtung kleinerer Scheine wie zu Jahresbeginn. Auf europäischer Ebene ist dennoch eine Diskussion über die Einführung kleinerer Scheine in Gang gekommen, sie befindet sich aber erst im Anfangsstadium. Befürworter sind neben Österreich nur Italien und Griechenland, die übrigen Länder reagieren darauf zurückhaltend. Jedenfalls wird die Stückelung der Banknoten jetzt überprüft. Aber selbst wenn kleinere Scheine befürwortet werden sollten, wird es bis zu deren Einführung noch Jahre dauern.

STANDARD: Der Euro hat sich heuer gegenüber dem Dollar erholt. Seit seiner Einführung Anfang 1999 liegt er aber noch immer mit rund zwölf Prozent im Minus. Warum kam es zuerst zu einem gewaltigen Kursverfall und dann zu einer Erholung?

Liebscher: Die Abwärtsentwicklung des Euro bis weit in das Jahr 2001 war ein Ausdruck der Dollarstärke, die wieder auf einer boomenden US-Wirtschaft beruhte. In Europa fiel das Wachstum in dieser Periode deutlich geringer aus. Inzwischen hat das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen. Die konjunkturelle Unsicherheit in Amerika wird negativ honoriert und Europa als sicherer Hafen gesehen. Es kommt aber nicht so sehr auf den Außenwert des Euro an. Das Entscheidende ist die Preisstabilität, damit die Kaufkraft der Bevölkerung erhalten wird. Und die ist gegeben.

STANDARD: Der Euro war eine politische Idee und sollte ein Gegengewicht zum Dollar sein. Als Anlage- und Reservewährung ist er das bis heute nicht. Warum?

Liebscher: Ich stimme zu, dass der Euro überwiegend eine politische Entscheidung war, aber mit wesentlichen ökonomischen Konsequenzen für die europäische Wirtschaft. Als Anlagewährung hat er sich bewährt. Es werden bereits 40 Prozent der Anleihen in Euro emittiert gegenüber 43 Prozent in Dollar. Als Reservewährung rangiert er mit 13 Prozent an zweiter Stelle nach dem Dollar, allerdings noch mit deutlichem Abstand. Die Tendenz ist aber steigend, vor allem der asiatische Raum interessiert sich stärker für den Euro. Der Trend läuft somit in die richtige Richtung. Als Transaktionswährung, wie etwa im internationalen Ölhandel, wird der Euro noch länger brauchen, bis er sich durchsetzt. Hier spielen die Gebräuche der Vergangenheit noch eine zu große Rolle.

STANDARD: Wie lange wird es dauern, bis die zehn neuen EU-Mitglieder (ab Mai 2004) auch Mitglieder der Eurozone sind?

Liebscher: Ein exaktes Datum kann man derzeit nicht nennen. Ich gehe davon aus, dass für die Beitrittskandidaten ab Mai 2004 auch die Möglichkeit besteht, dem so genannten Währungsmechanismus 2 beizutreten. Damit wird die Landeswährung an den Euro geknüpft, wobei Schwankungen innerhalb einer Bandbreite von 15 Prozent, jeweils nach oben und unten, möglich sind. Nach zwei Jahren könnte das so genannte Maastricht-Verfahren eingeleitet werden. Realistischerweise kann es frühestens 2007/08 zu einem Beitritt kommen, was nicht heißt, dass es bei einzelnen Ländern nicht auch noch länger dauern kann. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 23.12.2002)