Peter Warta ist Jurist und Publizist in Wien

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Dichand und sein Bundespräsident waren schon immer für Rot-Schwarz, Pröll und Leitl gesellten sich nach dem 24. November hinzu. Die Blauen blieben erstaunlicherweise bei Schwarz-Blau. Und als Rot-Grün ausgeträumt war, kam überraschend Schwarz-Grün in Mode. Fundis, die das strikte ablehnten, wurden beschimpft, und alternative Bürgerliche, die nicht verstehen wollten, was man gegen christlichen Umweltschutz haben kann, entsprechend gewürdigt. Unlängst hat der Verfassungsrechtsexperte Manfried Welan an dieser Stelle sogar der Option einer Minderheitsregierung einen gewissen "Charme" abgewinnen können. An treuherzigen Empfehlungen herrscht seit Wochen kein Mangel. Und alle wollen nur das Beste für Österreich.

Bundeskanzler Schüssel aber will vermutlich etwas anderes. 30 Jahre lang war er Zeuge des stetigen Verfalls der Bundes-ÖVP. Eine ganze Serie von Obmännern wurden in dieser dunklen Zeit verschlissen. Auch der Wiedereintritt der ÖVP in die Regierung 1986 brachte keine Trendumkehr. Die ÖVP verlor Wahl um Wahl und auch Schüssel wurde, wie so viele vor ihm, Obmann, weil wieder einmal eine Wahl verloren worden war.

Die Art und Weise, wie er mit seinem Vorgänger und Mentor Erhard Busek verfuhr, wie er 1995 Umfrageergebnisse, die für die ÖVP einen Vorsprung versprachen, zum Anlass nahm, die Koalition platzen zu lassen und Neuwahlen zu provozieren (was sich als Fehler erwies), wie er dann nach der für die ÖVP desaströsen Wahl vom Oktober 1999 den Pakt mit Haider nicht scheute, all das berechtigt zu der Annahme: Schüssel war von Anfang an entschlossen, rücksichtslos alles zu riskieren, um die Hegemonie der SPÖ in Österreich zu beenden.

Der Coup glückte unter Umständen, die beeindrucken. Als vorletzte von vier Fraktionen im Parlament gelang es ihm, seinem Koalitionspartner, der stimmenstärkeren FPÖ, in der Regierung die zweite Geige schmackhaft zu machen und Haider zumindest offiziell nach Kärnten zu exilieren. Er scherte sich nicht um die Kronen Zeitung, sosehr diese auch gegen ihn Gift sprühte. Er brachte es zuwege, die Verantwortung für den außenpolitischen Schaden, den er mit dieser Koalition für Österreich anrichtete, auf die Opposition abzuwälzen. Er schaffte es, innerhalb der Regierung eine Loyalität der Koalitionspartner zu stiften, an der sogar der Mythos Jörg Haiders zerbrach. Und er funktionierte zu guter Letzt das populärste Atout der Freiheitlichen, Finanzminister Grasser, zu seinem Wahlhelfer um.

All das, obwohl er nicht nur außerhalb seiner Koalition für sein sprichwörtliches, Schweigen zu diversen Obszönitäten rabiater FPÖler herbe Kritik erntete, und trotz phasenweise mehr als bescheidener Umfragewerte (sogar Van der Bellen hatte ihn schon einmal in der Kanzlerfrage überholt). Und dann dieser Erdrutschsieg!

Kreisky verfolgte 1970 nach seinem Sieg und dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP das innenpolitische Ziel, den konservativen Gegner, den er noch als Feind auf Leben und Tod in Erinnerung hatte, auf Dauer von der Macht im Staate fern zu halten. Die FPÖ war ihm dafür das rechte Mittel zum linken Zweck. Da durfte es nichts ausmachen, dass es bei denen Scrinzis, Trattnigs und den Ulrichsberg gab, und auch den Obmann Peter mit einer mehr als bedenklichen SS-Vergangenheit. Aber Kreisky tat das immerhin um eines Programms willen, das einen gewaltigen Modernisierungs- und Demokratisierungsschub versprach.

Es liegt nahe, dass Schüssel jetzt die Chance gekommen sieht, den Spieß umzudrehen, die SPÖ nachhaltig aus der Rolle einer staatstragenden Partei zu verdrängen und der ÖVP eine Vormachtstellung über viele Jahre zu sichern. Nicht um ein Programm zu verwirklichen. Da hat sich die ÖVP in vielen wichtigen Belangen schon durchgesetzt, als sie noch "Partner" der SPÖ war. Es geht nur noch um die Macht.

Die Meisterschaft, mit der Schüssel und sein Team dies verfolgen und verbergen, lässt die Grünen, die Roten, und die Blauen, aber auch schwarze Landesfürsten und Kammerherren, die sich bisher stets wichtiger nahmen als die Obleute ihrer eigenen Partei, zu Statisten seines Spiels schrumpfen.

Für diesen Schüssel ist die SPÖ in ihrer derzeitigen Verfassung kein Gegner, da helfen auch rührende Solidaritätsadressen von Broukal und Dohnal (STANDARD, 3. bzw. 16. 12.) nichts. Die Einzigen, die offenbar kapiert haben, was jetzt in Wahrheit läuft, sind die Grünen. Wenigstens sie lassen sich nicht mehr an der Nase herumführen und haben die Verhandlungen mit der ÖVP abgebrochen. Schüssel bedauerte das mit mildem Lächeln. Ist er doch offen für alles, was die FPÖ noch gefügiger macht und die SPÖ weiter zermürbt ... (DER STANDARD, Printausgabe, 21./22.12.2002)