Wieder einmal ist der "Soldat des Volkes" in der Defensive. Fünf Tage dauert der vierte Generalstreik Venezuelas in diesem Jahr bereits an. Die Ölproduktion - ihr Anteil am BIP des Landes beträgt sagenhafte 82 Prozent - droht zum Erliegen zu kommen. Die Situation gleicht gefährlich jenen Umsturztagen in Caracas, in denen Präsident Hugo Chávez vergangenen April kurzfristig aus dem Amt geputscht wurde.

Sind diesmal wieder die Amerikaner mit von der subversiven Partie? Wollen dunkle Geschäftsmächte Chávez neuerlich absetzen? Hat die Opposition vor, das glaubt der Staatschef selbst, mit der Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns PDVSA das "Herz der Venezuelaner herauszureißen"? Vieles von dem mag etwas für sich haben - glaubt man wie der linksdrehende Tribun im Präsidentenamt gern an Verschwörungstheorien.

Die venezuelanische Realität indes scheint durchaus anders strukturiert: Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften stellen sich im Oppositionsbündnis "Coordinadora democratica" einmütig gegen den Präsidenten. Damit lehnen auch jene, die Chávez mit seiner "bolivarianischen Revolution" beglücken möchte, seine Politik rundheraus ab: Erst vor wenigen Tagen ist eine maßgeblich von der Gewerkschaft getragene Petition von zwei Millionen Menschen unterzeichnet worden, die die Absetzung des "Oberkommandierenden" Venezuelas fordert.

1998 ist Chávez als große Hoffnung der Armen gewählt worden, seither ist nichts für sie geschehen. 85 Prozent der Venezuelaner lebt nach wie vor unter der Armutsgrenze. Chávez’ Politik bestand im wesentlichen darin, sich mit Fidel Castro gut zu stellen, einen nagelneuen Präsidentenjet zu kaufen und stundenlange TV-Ansprachen zu halten. Dass viele im ölreichen Venezuela hungern, scheint sich nicht bis in Chávez’ Fernsehshow "Hallo Präsident" durchgesprochen zu haben. - Vielleicht hilft nun der fünfte Generalstreik beim Erkenntnisprozess.

(DER STANDARD, Printausgabe, 7./8.12.2002)