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Wien - "Ich hab's zuerst gar nicht fassen können", erinnert sich Eva Cescutti vom Internationalen Forschungszentrum für Kulturwissenschaften in Wien an ihre Studien an der Uni Innsbruck. "Aus Protokollen geht eindeutig hervor, dass sie von der Uni noch nach ihrer Rückkehr abgelehnt wurde. Nicht nur, weil sie Frau war, sondern vor allem wegen ihrer jüdischen Herkunft. Das war bereits 1951."

Cescutti spricht von Gertrud Herzog-Hauser. Sie war die erste Frau in Österreich, die sich 1932 an der Wiener Uni in Klassischer Philologie habilitierte. Und sie ist eine von 342 heimischen Forscherinnen, deren Biografien in einem Forschungsprojekt rekonstruiert und nun im Lexikon Wissenschafterinnen in und aus Österreich, erschienen im Böhlau Verlag, zusammengetragen wurden.

Gertrud Herzog-Hauser, erklärt Projektmitarbeiterin Cescutti, sei ein typisches Beispiel für den bis heute verschwiegenen und marginalisierten Anteil von Frauen an der österreichischen Wissenschaftsgeschichte. Geboren 1894 in Wien, wurde sie nach Abschluss ihres Studiums von der Uni abgelehnt, nahm den Posten der Direktorin des Mädchengymnasiums in der Rahlgasse an. 1938 die Emigration nach Holland, dann in die Schweiz. 1946 kehrte Herzog-Hauser nach Wien zurück, wurde von Unis weiter abgelehnt. Wissenschaftliche Arbeiten folgten. Später Höhepunkt ihrer akademischen Karriere: außerordentliche Uniprofessorin. Sie starb 1953.

Herzog-Hausers wissenschaftliche Laufbahn sei laut Cescutti "typisch weiblich". Aus folgenden Gründen: Sie habe Wissenschaft nie als Vollerwerb betreiben können, hätte ihre Forschungsarbeit parallel zu ihrem "Brotjob" am Gymnasium erledigen müssen, sei also eine "Grenzgängerin zwischen Schule und Universität" gewesen. Und das, obwohl ihr wissenschaftlicher Output "mindestens gleichauf mit dem ihrer männlichen und an der Uni etablierten Konkurrenten war".

Gläserne Decke

Derartige Muster seien noch heute zu sehen. "Nach wie vor liegt der Anteil von Professuren für Frauen unter zehn Prozent", was laut Cescutti "eigentlich alles zur heutigen Situation sagt". Die "gläserne Decke" sei damals wie heute gleich stark ausgeprägt. Die Zäsur in der heimischen Wissenschaft, die die Jahre 1938 bis 1945 gebracht hätte, habe vor allem die ohnedies spärliche Gruppe von Frauen betroffen. "Die Klassische Philologie beispielsweise hat sich bis heute nicht davon erholt, was zu einem zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutungsverlust dieser Wissenschaft führt."

Brigitta Keintzel - mit Ilse Korotin Herausgeberin des Lexikons geht noch einen Schritt weiter: "Die nächste Emigrationswelle österreichischer Wissenschafterinnen steht bevor. Sind es gestern rassenideologische Ursachen gewesen, sind es morgen forschungspolitische." Die Unigesetze würden auf Frauen keine Rücksicht nehmen, Karriere und Kinder seien nicht kompatibel. (fei, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.12. 2002)

Das Buch zum Thema Mit dem Lexikon wollen die Autorinnen die 350 portraitierten Wissenschafterinnen auch "sichtbar machen, damit sie im Gedächtnis weiterleben und nicht in Vergessenheit geraten". Sie zeigen ihre Lebensmuster und Erfahrungshorizonte, aber auch die subtilen Mechanismen und Marginalisierungen, mit denen die Forscherinnen zu kämpfen hatten. Als Zeithorizont wurde die Jahrhundertwende bis zur späten Nachkriegszeit gewählt. Unter den Portraits finden sich auch sehr bekannte Namen wie Ingeborg Bachmann, Anna Freud und Sophie Lazarsfeld. In vielen Portraits wird sichtbar, wie die Karrieren der Wissenschafterinnen durch Vorurteile unterbunden wurden, wie sie oft nicht einmal die Chance zur Dissertation erhielten. Viele von ihnen wurden zwar als freie Mitarbeiterinnen an den Universitäten akzeptiert, erhielten jedoch keine Anstellung und waren oft sehr schlecht bezahlt. Ausführlich berücksichtigt wurde in dem Buch außerdem der außeruniversitäre Bereich (z.B. Psychoanalyse, Theoretikerinnen, angewandte Sozialforschung), wegen seiner Interdisziplinarität will es außerdem einen Beitrag zum umfassenden Verständnis der Verwobenheit von Kultur- und Wissenschaftstraditionen leisten. Ein Ausschnitt aus einem Schreiben des Unterrichtsministeriums aus dem Jahre 1920 bringt die prekäre Situation der Wissenschafterinnen von damals ürigens mehr als deutlich zum Ausdruck: "Die Frage ist vielmehr die, ist es vom Standpunkt der Universitäten wertvoll, wenn Frauen die Venia legendi an Universitäten erteilt werden kann. Diese Frage ist auch von denjenigen, die wissenschaftliche Arbeiten von Frauen hoch einschätzen, für die ungeheure Mehrzahl der Fälle, also grundsätzlich zu verneinen." (isa)