Jennifer Ehle und Jeremy Northam in Neil Labutes "Possession".

Foto: Warner
Wien - Ein Brief aus der Vergangenheit erreicht bei seiner Versteigerung in der Gegenwart Höchstpreise. Ein weiterer erreicht zwar seinen damaligen Adressaten nie, fällt jedoch in der Gegenwart durch Zufall einem Wissenschafter in die Hände.

Besessen/Possession, der jüngste Film des US-Regisseurs Neil LaBute, selbst ein erfolgreicher Theaterautor, basiert auf Antonia S. Byatts gleichnamigen Bestseller. Das Buch stellt an eine Verfilmung besondere Herausforderungen, bezieht es doch seinen Reiz im wörtlichsten Sinn aus Texten: Zwei Literaturwissenschafter spüren eine geheime Liebe zwischen zwei viktorianischen Dichtern auf - die Brisanz liegt dabei in dem Umstand, dass jeder der beiden für die Rezeption ein ideales Rollenmodell verkörpert.

Randolph Henry Ash (Jeremy Northam) gilt als treusorgender Mustergatte, Christabel LaMotte (Jennifer Ehle), mit der ihn ein leidenschaftlicher Briefverkehr verbindet, hingegen als eine Proto-Feministin, die - für ihre Epoche äußerst gewagt - mit einer Frau zusammenlebte.

Was LaBute, der durch Filme wie In the Company of Men oder Nurse Betty für seinen misanthropischen Blick auf die Dynamik der Geschlechter bekannt ist, an der Vorlage interessiert haben muss, ist ihre Spiegelform, die Auswirkung der Lektüre auf die Gegenwart:

Roland Michell (verkörpert vom LaBute-Regular Aaron Eckhart) - im Film Amerikaner, was außer schalen Gags über britische Ressentiments wenig abwirft - begibt sich mit der kühlen Gender-Studies-und LaMotte-Expertin Maud Bailey (Gwyneth Paltrow) auf eine literaturhistorische Schnitzeljagd, die sich über dieselben Räume erstreckt, die einst auch das viktorianische Paar durchschritten hat.

Je näher sie dabei den damaligen Schauplätzen kommen, desto obsessiver wird ihr Lesedrang - und desto intimer die Beziehung des modernen Paars. LaBute wechselt zwischen den beiden Zeitebenen hin und zurück, bisweilen trennt sie nur ein Schnitt oder ein Schwenk, doch die Differenz könnte kaum größer sein: Bahnt sich die Liebe im 19. Jahrhundert wider alle gesellschaftlichen Hindernisse ihren Weg, stößt sie in der Gegenwart permanent an eine Grenze - den Forschern wird ihr Wissen um die Ökonomie der Gefühle zum Problem.

Das Problem des Films ist ein anderes: Wie im Roman entwickelt sich um die Aufdeckung der Wahrheit ein Wissenschaftsthriller, werden die beiden doch von karrieregeiler Konkurrenz verfolgt. Dieser Subplot, der Possession zusätzlich Spannung zuführen soll, gelingt LaBute am wenigsten, rund um das Forscherpaar bewegen sich nur Typen, Käuze, Karikaturen. Der ironische Pointe des Films, dass Michell und Bailey eigentlich weniger modern sein müssten, um zueinander zu finden, geht in diesem Durcheinander etwas unter. (DER STANDARD, Printausgabe, 3.12.2002)