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Das Medienereignis der Woche: Weltweit startet die Verfilmung "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" – allein in Österreich mit 144 Kopien. Und der Megaerfolg scheint, so Claus Philipp, unausweichlich.

Wien – Der Inhalt des Buches kann, ja er muss als bekannt vorausgesetzt werden. Eben deshalb darf nichts ausgelassen werden. Alles will und muss nacherzählt, richtiger: gezeigt werden! Möglichst jedes Detail, das die Leser möglicherweise lieben, muss auf der Leinwand zu sehen sein.

Diese Logik, die bis dato vor allem Bibel-Adaptionen und Jesusfilme belastet haben mag – sie führt im Fall von Harry Potter und die Kammer des Schreckens immerhin zu satten zweieinhalb Stunden Kino, in denen ein Digitaltrick den nächsten jagt, ein Dolby-Surround-Effekt auf den anderen folgt, leider aber trotzdem keine Figur über das Schema von Auf- und Abtritt hinauskommt. Und die Handlung?

Mehrere Action-Episoden behaupten zwar eine Chronik von Harry Potters zweitem Schuljahr an der Zaubererschule Hogwarts: So etwas wie eine Geschichte erzählen sie aber nicht. Man könnte sie eigentlich auch in anderer Reihenfolge montieren: Hier Riesenspinnen, da ein Quidditch-Spiel, dort ein Basilisk! In einigen Weltgegenden (Freiwillige Selbstzensur in Kärnten!) musste man das alles leider um gruselige Momente kürzen – damit der Film nur ja die für Einspielergebnisse wichtige Marke "Ab 8 Jahren" erreicht.

Der zweite Teil der auf insgesamt sieben Filme angelegten Serie ist ab 15. November auch in Österreich zu sehen: Keine Frage, nach all den Deals, die jetzt schon mit der Spielzeug-, der Junkfood- und Getränkeindustrie abgeschlossen wurden, ist er jetzt schon ein Megaerfolg, schon jetzt ein Geschäft. Und keine Frage auch: Zumindest derzeit noch wollen, ja, müssen alle Kinder und Jugendlichen, die dazugehören wollen, Harry Potter II sehen. Sogar wenn sie nicht davon angetan sind, werden sie selbst mit ihrem Unmut Diskussionen auslösen, Chatrooms befeuern und damit den Besucherstrom per Mundpropaganda weiter anwachsen lassen: Da fressen wir einen Zauberbesen, wenn das nicht funktioniert.

Harry Potter und die Kammer des Schreckens: Ausgeprägter noch als sein Vorgänger (weil dem Original gegenüber schon wesentlich selbstsicherer) ist dies ein Film wie ein schweres Holzscheit: extrem klobig. Klotzig. Gut auch zum Anheizen (von Kaufinteressen, weil eigentlich ein monumentaler PR-Trailer). Und ideal, wenn man jemandem eins über den Schädel hauen will: ein Koloss ohne Rhythmus, ohne Liebe zu magischen Details, voll uneingelöster Versprechen. Allein schon der Haus-Elf Dobby, im Computer-Schnellverfahren generiert, spottet jeder Beschreibung – übler Trash anstatt einer liebenswert hässlichen Kreatur.

Und jetzt: Großeinkauf!

Aber für die Liebe und die Konzentration gibt es ja Bücher, und die kann man zu Weihnachten jetzt auch im Viererschuber kaufen, und den, liebe Kinder, braucht ihr unbedingt – zum neuen Playstation-Spiel übrigens, versteht sich. Ach ja, und dann wäre da noch das Sammelheft ...

Es ist bezeichnend, dass tatsächlich auch der beste Akteur des Films wortwörtlich eins über den Schädel bekommt. Kenneth Branagh spielt den Möchtegern-Magier und Bestseller-Autor Gilderoy Lockhart, der permanent behauptet, allen Kreaturen der Nacht gewachsen zu sein – und nur ein grandioser Magnet für Autogrammjäger ist.

Nach einem Schlag mit einem Stein liegt er irgendwo in einem Kellergewölbe und staunt nur noch über sich selbst und darüber, was hier geboten wird: Szenen wie aus Z-Pictures der 50er-Jahre. Eigentlich sahen wir Harry Potter einmal als einen möglichen Nachfolger des Wizard of Oz. Aber wenn man, wie Potter-Regisseur Chris Columbus binnen zwei Jahren zwei Riesenzauberkisten zimmern muss, dann sind Eleganz und Geist wohl keine Kategorien mehr. Es wird einfach zusammengezimmert, was das Zeug hält. Ah, noch ein Auftritt von John Cleese? Auweia, er ist schon wieder weg.

Entgegen ihren früheren Ankündigungen hat die Bestsellerautorin Joanne K. Rowling bekanntlich von ihrem Plan Abstand genommen, jährlich ein Potter-Buch erscheinen zu lassen. Daraus spricht deutlich ein Firmeninteresse, das Band No. 7 und Film No. 7 im Jahr 2007 gleichschalten will. Wenn jetzt die Bücher sehr viel besser als die Filme bleiben: Wer weiß, vielleicht ist das Interesse über Jahre hinweg doch nicht aufrechtzuerhalten?

Im Fall der Kammer des Schreckens griff man in den USA und in Großbritannien übrigens zu interessanten propagandistischen Verfahren, um etwaige Kritik zu lapidarisieren. Rezensenten wurden per Vertrag darauf eingeschworen, erst ganz kurz vor der Premiere ihre Beurteilungen zu publizieren. Bis dahin: Bilder von der Londoner Weltpremiere und von kleinen Kindern, die großäugig behaupteten, noch nie "so einen Film" gesehen zu haben.

Ein britischer Kritiker, der das Schweigen – übrigens ziemlich höflich und vorsichtig – brach, hatte laut Branchenmagazin Variety größere Probleme zu erwarten. Wir flehen: Lasst Gnade walten! (DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2002)