"Der Mann ohne Vergangenheit": "Lass die Schauspieler nicht schauspielen!"
Mit "Der Mann ohne Vergangenheit" hat Aki Kaurismäki einen herzerwärmenden Film über ein trauriges Leben gedreht
Redaktion
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Ein Pessimist? Mit "Der Mann ohne Vergangenheit" hat Aki Kaurismäki einen herzerwärmenden Film über ein trauriges Leben gedreht. Und darüber sprach er auch mit Frank Arnold.
STANDARD: Beim Filmfest in Hamburg wurden Sie vor einigen Wochen mit dem Douglas-Sirk-Preis ausgezeichnet...
Kaurismäki
: Was habe ich nur
getan, um diese Gnade zu verdienen? Filme sind keine
Rennpferde, deshalb habe ich
keinen großen Respekt für
Preise, aber eine Auszeichnung wie diese war auch für
einen zynischen alten Bastard
wie mich eine Ehre. Es mag
merkwürdig klingen. Wenn
man den Douglas-Sirk-Preis
erhält, sagt man normalerweise: "Dieser Regisseur war immer wichtig für mich" - aber
genau so ist es. Ein Freund hat
mich mit ihnen bekannt gemacht, er füttert mich fortwährend mit Filmen aus seiner großen Sammlung.
Außerdem verbrachte ich
meine Jugend in den Kinos der
Filmmuseen, ein Jahr bei Enno Patalas in München, fünf
Jahre in Helsinki, als mein
Freund dort verantwortlich
war. Das war meine filmische
Erziehung, eine Filmschule
habe ich nie besucht.
STANDARD: Sirks Filme enden
nicht unbedingt glücklich...
Kaurismäki
: Das Leben ist
nicht glücklich!
STANDARD: ... aber nach Ihren
Filmen wie jetzt nach
Der
Mann ohne Vergangenheit
kommt das Publikum irgendwie glücklich aus dem Kino.
Kaurismäki
: Ich denke, das Leben ist schon traurig genug.
Meine Geschichten haben oft
traurige Enden, aber dann entschließe ich mich doch für ein
Happyend. Ich bin so pessimistisch, dass Optimismus
meine einzige Chance ist.
STANDARD: Sie haben Finnland
vor einigen Jahren verlassen.
Kaurismäki
: Das stimmt nicht,
ich verbringe die Hälfte meiner Zeit in Portugal, die andere in Finnland. Ich wollte für
immer gehen, und die wären
auch glücklich, wenn ich ginge. Aber Filmemacher sollten
in ihrem eigenen Land bleiben
und dort Filme machen - Filme sind auch eine Dokumentation der eigenen Kultur.
STANDARD: Die Schauspielerin
Kati Outinen sagte einmal, Ihre
Filme spielen weniger in Finnland als in "Akiland".
Kaurismäki
: Ich zeige Finnland so, wie ich es gerne hätte.
"Akiland" ist lediglich in meinem Kopf.
STANDARD: Sie zeigen darin
reale Probleme wie Arbeitslosigkeit, aber auch, wie Ihre
Protagonisten das überwinden.
Kaurismäki
: Wenn sich 99
Prozent aller Filmemacher auf
Sex und Gewalt konzentrieren, warum kann es dann
nicht ein Prozent geben, die
das nicht tun?
STANDARD: Sehen Sie sich da irgendwie allein?
Kaurismäki
: Selbst Bastarde
wie ich haben Freunde. Ja, Jim
Jarmusch und Wim Wenders
würde ich zu meinen Freunden zählen. Das ist wie eine
Familie, die sich nie trifft, nur
auf Festivals: "Ciao, ciao -
keine Zeit für einen Drink!"
Wir treffen uns manchmal auf
dem Flughafen. Ich würde
mehr fliegen, wenn ich dabei
rauchen dürfte.
STANDARD: In
Der Mann ohne
Vergangenheit
sieht man einmal ein Foto Ihres jahrelangen
und viel zu früh verstorbenen
Mitstreiters Matti Pellonpää an
der Wand der Bar. Hätten Sie
ihn sich in der Hauptrolle des
Films vorstellen können, wäre
er noch am Leben gewesen?
Oder war es vielmehr wichtig,
ein Gesicht zu haben, das für
das Publikum nicht so bekannt
war?
Kaurismäki
: Zu allererst: das
ist meine eigene Bar.
STANDARD: Das Bild hängt also
immer dort?
Kaurismäki
: Ja. Jetzt ist es so,
dass Matti den anderen
Schauspielern zusieht. Und
die waren seine Freunde. Dieses Bild wird immer da sein,
das ist eine Erinnerung.
STANDARD: Legendär sind Ihre
Gespräche mit dem Kurator Ulrich Gregor auf der Bühne des
Delphi-Kinos im Anschluss an
die Vorführung beim Berlinale-"Forum". Haben Sie das dieses
Jahr in Cannes vermisst?
Kaurismäki
: Ich habe alle meine Filme in Berlin gezeigt,
wenn die Gregors das wollten.
Dieser Film war dafür leider
nicht rechtzeitig fertig. Ich bin
mein eigener Produzent: Zehn
Jahre lang habe ich mich geweigert, meine Filme in einem
Wettbewerb laufen zu lassen.
Am Ende habe ich mir dann
doch gesagt: Alle anderen sind
im Wettbewerb, und ich stehe
hier allein im Wald. Da ist es
einsam - also gehe ich auch in
den Wettbewerb. Aber nur
einmal!
STANDARD: Kati Outinen erzählte, dass die Auszeichnungen in Cannes ihre Wirkung
hatten: In Finnland lief der
Film damals bereits einige Zeit
und nur noch in den kleineren
Kinos - und nach Cannes kam
er erneut in die größeren!
Kaurismäki
: Mir geht es nur
ums Kino, nicht ums Geld -
wenn ich will, kann ich mein
Geld immer noch als Tellerwäscher verdienen. Solange
ich Benzin für meinen Cadillac und Rosen für meine Frau
kaufen kann.
STANDARD: Man hat den Eindruck, in
Der Mann ohne Vergangenheit
sind Ihre Figuren
ungleich beredter als früher.
Kaurismäki
: Jahrelang versuchte ich, den Dialog zu reduzieren. Dann drehte ich
Juha
, einen Stummfilm in
Schwarzweiß. Was kann man
danach noch machen?
STANDARD: In Finnland spricht
das Publikum diese Dialoge bereits nach.
Kaurismäki
: Ich mache meine
Filme für die Leute, nicht für
das Publikum.
STANDARD: Wo liegt da der Unterschied?!
Kaurismäki
: Das ist ein großer
Unterschied: Mein Publikum
hat nicht das Geld, sich Kinokarten zu kaufen.
STANDARD: Wie kommt Ihr Publikum dann in den Film?
Kaurismäki
: Durch die Hintertür. Aber was die Dialoge anbelangt, folge ich nur meiner
Nase. Und die ist ziemlich
groß - oder, wie W.C. Fields
sagte: "Eine große Nase bekommt man nicht vom Tischtennisspielen".
STANDARD: Kati Outinen hat
auch erzählt, dass die Art und
Weise, wie Sie mit den Schauspielern arbeiten...
Kaurismäki
: Sie lügt!
STANDARD: Dann müssen Sie
das jetzt richtig stellen. Sie
meinte, dass Sie sehr streng mit
den Schauspielern sind, was
die Dialoge anbelangt.
Kaurismäki
: Die wichtigste Regel ist: Lass die Schauspieler
nicht schauspielen!
STANDARD: Und wie erreichen
Sie das?
Kaurismäki
: Indem ich flüstere. Ich drehe immer die erste
Probe. Schließlich bin ich
auch Produzent und sparsam.
STANDARD: Aber wenn sie schon
so lange mit Ihnen zusammenarbeiten wie Kati Outinen,
dann wissen sie das doch!
Kaurismäki
: Sie konzentrieren
sich derart stark auf ihre Dialoge, dass sie in dem Moment
vollkommen nervös sind. Ich
breche ihren Willen, indem
ich ihnen etwas Seltsames zuflüstere, etwa "Was essen Sie
heute Mittag?" (DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2002)
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