Großbritannien irgendwo in den Atlantik abgedriftet...

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London/Rom/Paris - Mit dem Streit zwischen dem britischen Premierminister Tony Blair und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac über die EU-Agrarsubventionen befassen sich am Mittwoch mehrere europäische Tageszeitungen. Dabei wird auch der klare Schulterschluss Blairs mit der Irak-Politik der USA kritisch unter die Lupe genommen. Die linksliberale britische Zeitung "The Independent" (London): "Blair sollte wissen, dass Großbritannien auf dem Kontinent in Wahrheit ganz anders gesehen wird, als es uns die Downing Street glauben machen will. Blair gelobt stets, Großbritannien ins Herz Europas zu führen, doch Großbritannien wird als halbherzig betrachtet. Der Beweis dafür ist unser Zögern beim Euro. Von Paris und Berlin aus gesehen, scheint London mitten im Atlantik zu liegen - schon mehr zur amerikanischen Seite hin, seit aus der weltweiten Koalition gegen den Terrorismus ein bilaterale Allianz gegen den Irak geworden ist. Chirac ist mit seiner vorsichtigen Haltung zu einem Krieg keineswegs isoliert, wie die Briten immer behaupten: Er bringt die Zweifel des größten Teils Europas und Russlands vor. Wenn jemand beim Thema Irak isoliert ist, dann Großbritannien." "Corriere della Sera" Mailand: Ärmelkanal plötzlich breiter geworden "Downing Street und der Elysée-Palast sind aneinander geraten, der Ärmelkanal ist plötzlich breiter geworden. So entdecken London und Paris, die sich bisher zu lieben und zu vertragen schienen, dass zwischen dem französischen Präsidenten und dem britischen Premier ein Hauch von Antipathie existiert, abgesehen von beachtlichen politischen Differenzen. Chirac und Blair haben Lust zu streiten, oder das wollen sie zumindest zeigen. Dass im Hintergrund die Irak-Frage steht, in der Blair alles Mögliche unternimmt, um dem amerikanischen Verbündeten zu helfen, und Chirac keine Gelegenheit verpasst, Hürden in den Weg zu stellen, ist klar, auch wenn niemand es zugibt." "Dernieres Nouvelles d'Alsace": Filiale des State Department "Europa ist abgesehen von großen Projekten und echten Erfolgen auch von nationalem Egoismus durchdrungen. Um die Finanzierung der Osterweiterung mit den zehn Beitrittsanwärter-Ländern zu gewährleisten, wird jeder Opfer bringen müssen. Das ist aber nicht der einzige Zankapfel zwischen Paris und London. In der irakisch-amerikanischen Krise beweist Paris eine unabhängige Politik gegenüber dem 'großen Bruder' in Amerika. Im Gegensatz zu Großbritannien, wo das Foreign Office seit langem zur Filiale des Washingtoner State Department degradiert wurde. Eines liegt auf der Hand. Wenn die deutsch-französische Entente die Hauptachse Europas ist, so braucht der Wagen alle Räder, um voran zu kommen. Nur die Franzosen und die Briten sind heute im Stande, der Union militärisch ein glaubwürdiges Konzept zu verschaffen. Daher dürfte der Streit bald im Requisitenschrank verschwinden." (APA/dpa)