Brüssel/Istanbul - Der türkische Wahltag ist gleichzeitig der Startschuss für die wahrscheinlich wichtigste Verhandlungsrunde im fast drei Jahrzehnte alten Zypernkonflikt. Bis zum Europäischen Rat in Kopenhagen am 12. Dezember, wo der EU-Beitritt Zyperns besiegelt werden soll, wollen internationale Verhandler eine Lösung herbeiführen, dank der der ganze Inselstaat mit dem türkisch besetzten Nordteil in die Union eintreten könnte. Vor dieser Entscheidung hat die EU noch Druckmittel in der Hand, um den zypriotischen Präsidenten Glafcos Clerides zur Annahme des UN-Friedensplanes zu bringen, der einen Einheitsstaat mit weit reichender Autonomie für Nordzypern vorsieht. Danach sei von Clerides viel weniger Entgegenkommen zu erwarteten, heißt es in EU-Kreisen. Als vorteilhaft könnte sich auch die Erkrankung des Führers der türkischen Zyprioten, Rauf Denkta¸s erweisen, der seit Jahrzehnten jeden Kompromiss verweigert. Als Stolpersteine könnten sich Entschädigungsfragen für 1974 vertriebene griechische Zyprioten und die genaue Grenze zwischen den autonomen Gebieten erweisen. Der Optimismus der Verhandler beruht vor allem auf der Komromissbereitschaft jener türkischen Parteien, die als Favoriten bei den Wahlen gehandelt werden. Während der jetzige Premier Bülent Ecevit, der 1974 den Befehl zur Militärintervention in Zypern gab und der Ultranationalist Devlet Bah¸celi sich schwer tun, einem einheitlichen zypriotischen Staat zuzustimmen, ist die relilgiös-konservative AK-Parti (AKP) viel flexibler. "Wir sind für das belgische Modell", sagte AK-Chef Tayyip Erdogan dem STANDARD. Auch in anderen außenpolitischen Bereichen gibt sich die AK-Parti betont gemäßigt. US-Befürchtungen, die Partei könnte sich nach einem Wahlsieg den islamischen Brüdern und Schwestern im Irak verpflichtet fühlen und die türkische Unterstützung für einen US-Militärschlag zurückziehen, hat die Partei längst ausgeräumt. Die US-Basis in Incirlik stehe nicht zur Disposition, sagt Erdogan. Um trotzdem noch vorhandene Skepsis im Westen und bei den eigenen Militärs auszuräumen, wird immer wieder darüber spekuliert, ob die AK-Parti, selbst wenn sie allein regieren könnte, nicht doch eine Koalition mit der CHP eingeht, um die Kontinuität der Außenpolitik auch personell mit Kemal Dervi¸s und einem entsprechenden Verteidigungs- oder Außenminister zu demonstrieren. Dazu Erdogan: "Wir könnten mit jeder demokratischen Partei koalieren, natürlich auch mit der CHP." (ef/jg/DER STANDARD, Printausgabe, 30.10.2002)