Deutschland
DDR: NS-Verbrechen besser geahndet
Niederländischer Wissenschaftler legt Urteilssammlung vor, die das bisherige DDR-Bild "beträchtlich korrigieren" könnte
Berlin - Die ostdeutschen Strafverfahren wegen
NS-Tötungsverbrechen seien wesentlich kürzer gewesen als jene im
Westen, es sei härter bestraft worden, aber die Urteile würden auch
nach westlichem Rechtsverständnis "halten". Das sagte am Freitag der
an der Universität Amsterdam lehrende Rechtswissenschaftler
Christiaan F. Rüter anlässlich der Vorstellung der ersten beiden
Bände der Urteilssammlung "DDR-Justiz und NS-Verbrechen" in Berlin. 12.890 Verurteilungen wegen NS-Verbrechen waren in der DDR
ausgesprochen worden, in der Dokumentation wurden allerdings nur die
Tötungsdelikte untersucht. Gebürtige Österreicher seien nicht unter
den Angeklagten gewesen. Bei Durchsicht der Urteile sei ihm
aufgefallen, dass die DDR sich im Nachhinein wie ein von Hitler
besetztes Land gefühlt habe: "Das, was die Wessis dem Osten oft nicht
abnehmen wollen, stimmt: Strafverfolgung war ein echtes Anliegen",
sagte Rüter, "ich erkenne das wieder, weil es bei uns in den
Niederlanden auch so war." Der Antifaschismus sitze tief und sei,
zumindest bei der älteren Generation, "breit und echt". Für den
niederländischen Wissenschaftler wäre dabei der auffallendste
Unterschied zwischen BRD und DDR gewesen, dass man im Osten "diese
Leute tatsächlich vor Gericht sehen wollte".
"Nicht in Staat oder Partei gelandet"
Dass Nationalsozialisten in Ostdeutschland nach dem Krieg in Staat
und Partei untergekommen wären, ähnlich wie auch in Westdeutschland
oder Österreich nach dem Krieg, bezeichnete Rüter als "Quatsch". Die
soeben erschienene Urteilssammlung werde "das bisherige Bild der
DDR-Justiz möglicherweise beträchtlich korrigieren". Wenn ein
Sachverhalt nicht hieb- und stichfest verfolgbar gewesen wäre, hätte
die ostdeutsche Justiz kein Verfahren eröffnet. "Das ist für mich ein
Indiz, dass die Richter der DDR nicht herumgeschoben wurden von Staat
und Partei, nicht bei NS-Verbrechen", so Rüter. Während in
Westdeutschland in 46 Prozent der Verfahren keine Bestrafung
ausgesprochen wurde, waren es im Osten nur 19 Prozent.
Insgesamt waren in der DDR wegen solcher Verbrechen 129
Todesurteile ausgesprochen und vollzogen worden, das letzte 1977.
"Sie finden in den Urteilen auch Traktätchen über die DDR und den
Weltfrieden, aber nachher kommt das, was auch in ein normales Urteil
gehört", sagte Rüter, der hinzufügt, mit seiner Sammlung sei er weder
"zur Ehrenrettung der DDR angetreten und auch nicht um ihr eins
auszuwischen".
Die Urteilssammlung wurde im Rahmen eines von der Berliner
"Stiftung Topografie des Terrors" abgehaltenen Fachgesprächs
vorgestellt, an dem westdeutsche Forscher und beteiligte Akteure aus
DDR-Zeiten, also Richter und Staatsanwälte, teilnahmen. Dabei soll es
bei der Erinnerung an einzelne Fälle auch zu erregten Wortmeldungen
gekommen sein. (APA)