Netzpolitik
Wenn der Chef zum Computer-Spion wird
Big Brother am deutschen Arbeitsplatz - "Abwehrprogramme" sehr begehrt
Was treiben Angestellte während der Arbeitszeit?
Für so manchen Chef, der sich schon immer die totale Überwachung
seiner Leute wünschte, hat sich mit der Einführung spezieller
Schnüffelprogramme ein Traum erfüllt. Mit der Software "Spector"
beispielsweise lässt sich - unbemerkt vom Anwender - nicht nur jede
besuchte Webseite und jede E-Mail, sondern auch jede geöffnete
Anwendung und jeder Tastenanschlag registrieren.Chat-Einträge und Passwörter
Einträge in Chats sind ebenso einzusehen wie Passwörter, auf
Wunsch alarmiert "Spector" bei bestimmten Schlüsselwörtern den
Überwacher. Zudem "fotografiert" das Programm den Bildschirm des
jeweiligen Arbeitnehmers.
Bezeichnender Name "Orvell"
In Deutschland wird die aus den USA stammende Spionagesoftware
seit Jänner vergangenen Jahres verkauft. "Rund 7.000 Mal bislang",
erklärt "Spector"-Händler Carsten Rau, dessen Firma
ProtectCom
mit
"Orvell" mittlerweile auch ein eigenes Überwachungsprogramm
vertreibt.
"Wenn Sie wissen möchten was die Angestellten so tun"
"Orvell Monitoring 2002 ist ideal für Firmen und Unternehmen, die
erfahren möchten, ob ihre Mitarbeiter privat im Internet surfen oder
die Arbeitszeit mit Spielen vertrödeln", heißt es im
Internet-Werbetext für die Software. "Ungefähr die Hälfte der
Spector-Käufer sind Firmen", sagt Rau. Vor allem bei dem Verdacht auf
Wirtschaftspionage oder Verbreitung beispielsweise rassistischer
Inhalte werde das Programm angefordert. Mit den lückenlosen
Protokollen vom Tun der Mitarbeiter ließe sich auch herausfinden,
warum ein Angestellter nur 20, sein Kollege dagegen 80 Prozent einer
bestimmten Leistung erbringe, erklärte Rau.
Datenschützer schlagen Alarm
Bei Datenschützern rufen derartige "Qualitätskontrollen" das
blanke Entsetzen hervor. "Datenschutz hört ebenso wenig am Werkstor
auf wie das Grundrecht auf überwachungsfreie Telekommunikation",
betont Rena Tangens vom Verein zur Förderung des öffentlichen
bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD). Dieser verlieh
ProtectCom im vergangenen Jahr den so genannten Big Brother Award der
Kategorie "Überwachung am Arbeitsplatz" - ein Negativ-Preis für
Firmen, die nach Ansicht des Vereins die Privatsphäre von
Mitarbeitern oder Kunden verletzen.
Rechtslage unklar
Ob sich virtuell lauschende Chefs tatsächlich strafbar machen,
bedarf in Deutschland der Klärung. "Es gibt noch keine gerichtlichen
Entscheidungen darüber", erklärt Wolfgang Däubler, Professor für
Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht an der Universität Bremen.
Nach Ansicht der FoeBuD-Datenschützer ist das Mitlesen von Emails
ebenso illegal wie die Überwachung des Surfverhaltens. Für Däubler
dagegen sind diese Kontrollmaßnahmen legitim, wenn ihnen der
Betriebsrat zugestimmt hat und die Mitarbeiter Bescheid wissen. Eine
Totalüberwachung mit Aufzeichnung der Tasteneingaben, aufgerufener
Programme und Screenshots hält aber auch er für "völlig unzulässig"
und rechtswidrig.
"Abwehrprogramme" sehr begehrt
Dass sich die Firmen von den zivil- und strafrechtlichen
Konsequenzen virtueller Lauschangriffe schrecken lassen, glaubt Prof.
Wolfgang Däubler nicht. "Mein Verdacht ist, dass es schon jetzt
passiert, aber kein Arbeitnehmer weiß es." Vor allem in Unternehmen
ohne Betriebsrat würden Schnüffelprogramme vermutlich eingesetzt.
Einen bei dieser Überwachung negativ auffallenden Mitarbeiter könne
man dann ja mit anderen Mitteln loswerden, erklärte Däubler.
Arbeitnehmer wurden fündig
Seine Befürchtung scheint weit verbreitet: Ein von der Hamburger
Softwarefirma
ElbTec
entwickeltes Programm zur Abwehr von
Spionageprogrammen wurde dessen Entwickler Björn Kahle zufolge bisher
150.000 Mal von der Firmenhomepage
heruntergeladen
. Rund zwei Dutzend
Computernutzer wurden fündig, die Hälfte davon entdeckte "Spector"
auf dem Firmencomputer, berichtet Kahle.
Schon 80 Prozent überwacht
In den USA werden dem Verein zur Förderung des öffentlichen
bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) zufolge etwa 80
Prozent aller Computerarbeitsplätze großer Firmen überwacht, auf den
damit erhaltenen Ergebnissen basierende Kündigungen sind erlaubt. Ob
auch deutsche Firmen massiv zum Lauschangriff auf ihre Mitarbeiter
übergehen können, wird sich erst mit dem In-Kraft-Treten des
geplanten Arbeitnehmerdatenschutzgesetz eindeutig zeigen.(Annett Klimpel/dpa)