Österreich
Leobener Frauenarzt-Affäre: Immer mehr Patientinnen melden sich
Nach falscher Diagnose prüft Kripo zwölf Fälle - Praxisschließung noch unklar
Kapfenberg - Die Affäre um einen obersteirischen Frauenarzt weitete sich Donnerstag neuerlich aus. Die Kriminalabteilung untersucht bereits zwölf Krebsfälle, in denen der 60-jährige Gynäkologe falsche Diagnosen gestellt haben könnte. Bei zumindest zwei Patientinnen soll er Brusttumore nicht oder viel zu spät erkannt haben. Die Frauen leiden jetzt an Krebs. In einem Fall, in dem eine Patientin vergangenen Sommer gestorben ist, ermittelt die Staatsanwaltschaft Leoben wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.
Arzt wies bisher alle Vorwürfe zurück
Der Arzt wies bisher alle Vorwürfe zurück. "Ich habe zum jeweiligen Zeitpunkt immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt", sagte der Beschuldigte in einem ORF-Interview. Eine der an Krebs erkrankten Patientinnen behauptet hingegen, dass der Gynäkologe auf ihr damaliges Ansuchen um eine Mammografie gesagt habe: "Ihr blöden Weiber wollt nur zur Mammografie laufen, wenn ihr glaubt, dass das hilft." Der Arzt wandte zur Unterstützung für Diagnosen unter anderem umstrittene Methoden an, wie zum Beispiel das "Auspendeln" von Medikamenten. Mit alternativen Behandlungsmethoden habe er in den vergangenen zwei Jahren "gute Erfahrungen" gemacht.
Gesundheitslandesrat Günter Dörflinger (SP) will die Arztpraxis schließen lassen, wenn Gefahr in Verzug ist. Aus diesem Grund hat Dörflinger ein Verfahren gegen den Kapfenberger Frauenarzt eingeleitet und dazu von der Staatsanwaltschaft Leoben Unterlagen angefordert. Geprüft wird ein Berufsausübungsverbot.
Kommission zur Prüfung der Vorwürfe
Auch die Ärztekammer hat eine Kommission zur Prüfung der Vorwürfe eingesetzt. Diese Initiative komme reichlich spät, wurde Donnerstag kritisiert. Denn bei der ärztlichen Schlichtungsstelle waren zwei der Fälle längst anhängig. Ärztekammer-Präsident Wolfgang Routil betonte, dass die Schlichtungsstelle eine eigenständige Einrichtung sei. Er habe erst aus den Medien von den Vorwürfen erfahren.
Der Vorsitzende der Schlichtungsstelle, Richter Peter Koczett, sagte hingegen, dass jeder Antrag in Kopie an das Kammerpräsidium gehe. Donnerstag einigte man sich auf ein "Frühwarnsystem": Ergebnisse von Schlichtungsverfahren werden künftig einer eigenen Kommission bekannt gegeben.
Praxisschließung noch unklar
Keine Entscheidung wird am Freitag, im Fall
jenes obersteirischen Gynäkologen geben, bei dem das Land Steiermark
ein Schließungsverfahren seiner Praxis eingeleitet hatte. Die
Expertenkommission der Ärztekammer hat sich bei ihrer Sitzung von
Donnerstagabend vertagt. Es sollen noch weitere Informationen
eingeholt werden. Die Stellungnahme der Kammer ist Voraussetzung für
eine Entscheidung des Landes.
Arztbefragung
Wie am Freitag zu erfahren war, will man "insbesonders den
betroffenen Arzt hören". Ersucht wurde auch um Beistellung von
Informationen seitens des Amtsarztes und der Sanitätsdirektion.
Dennoch will die Expertenkommission auch über das kommende Wochenende
tätig bleiben, um "raschest und endgültig zu einer Entscheidung zu
kommen", hieß es.
Der Fall des betroffenen Arztes hat außer den Anschuldigungen auch
zahlreiche Gegenreaktionen hervor gerufen: Es gibt viele Frauen, die
dem Gynäkologen öffentlich ihr Vertrauen bekunden. Einer der
Kernpunkte der Irritationen ist die Tatsache, dass der Arzt zu
mitunter ungewöhnlichen Methoden schreitet, um die Verträglichkeit
von Medikamenten auszutesten - er pendelt die Arzneien aus.
(APA/red, DER STANDARD Printausgabe 25.10.2002)