Die Inszenierung hätte für einen Kriminalfilm getaugt: Der Wiener Himalaya-Experte Christian Schicklgruber stand Ende April an einem Autobahnrastplatz in Frankreich, als sein Handy schrillte. Das kurze Telefonat beendete er mit den bedeutungsvollen Worten: "Bitte verständige sofort die Interpol!" Damit machte er seinen Traum als Museumsmann zunichte, ein Objekt der Superlative in seiner Sammlung zu besitzen: einen äußerst seltenen Buddhakopf aus Nepal, 17. Jahrhundert, 1 Meter groß, 30 Kilogramm schwer, aus feuervergoldetem Bronzeguss, Krone, Halsschmuck und Ohrringe feinst ziseliert und üppig mit Türkisen, geschliffenen Bergkristallen und weiteren Halbedelsteinen besetzt. Allerdings - das Stück der Superlative ist keine Handelsware. Vielmehr ist er ein religiös verehrtes Prunkstück der prächtigen Prozessionen in der nepalesischen Stadt Patan. Am Magh 4 des nepalesischen Jahres 2058 - nach unserer Zeitrechnung 16. Februar 2002 - war es von seinem Aufbewahrungsort gestohlen worden. Tags darauf hatten die Besitzer den Diebstahl der Polizei gemeldet und am 15. März zusätzlich bei der nepalesischen Denkmalschutzbehörde eine Eingabe gemacht, den gestohlenen Buddha nicht zur Ausfuhr freizugeben, obwohl die Ausfuhr von über 100 Jahre alten Kunstgegenständen ohnehin verboten ist. Ein Anruf des deutschen Kunsthändlers K.* hatte Mitte April Schicklgrubers Interesse als Kustos des Wiener Völkerkundemuseums geweckt. Der seit fast 30 Jahren auf asiatische Kunst spezialisierte K. ist als Lieferant hervorragender Stücke bekannt - viele Museen kaufen regelmäßig bei ihm. K. erzählte von einem außergewöhnlichen Buddhakopf aus Nepal, den der Besitzer - ein Tempel - verkaufen müsste, um Geld für die Renovierung aufzutreiben. Auf Schicklgrubers Bitte nach der Übersendung eines Fotos antwortete K., er würde selbst mit dem Stück vorbeikommen, denn Fotos würden seine außergewöhnliche Schönheit nur unzureichend wiedergeben. Eine Woche später stand der Kunsthändler mit seiner Kiste vor der Tür am Wiener Heldenplatz. Schicklgruber war fasziniert; ein solches Stück erwerben zu können, war eine unerwartete Gelegenheit. Der geforderte Kaufpreis von 200.000 Euro war zwar nicht aus der Kaffeekasse zu bezahlen, entsprach aber der Qualität des Stückes. Eilends kam Wilfried Seipel, Generaldirektor des Kunsthistorischen und Geschäftsführer des Völkerkundemuseums, über den Burgring. Auch er war der Meinung, dass dieses Stück anzukaufen wäre. Was Schicklgruber dann doch zum Zögern und Nachforschen veranlasste, ist nicht ganz klar. Die nepalesischen Ausfuhrplomben waren in Ordnung, die Ausfuhrpapiere ebenfalls. Dennoch - Schicklgruber bat den deutschen Kunsthändler, ihm das kostbare Stück für eine Woche zu lassen, was dieser überraschenderweise auch tat. Die Story vom Not leidenden Tempel ergab für Schicklgruber wenig Sinn - seiner Erfahrung nach würde jede buddhistische Glaubensgemeinschaft eher ihr Tempelgebäude einstürzen lassen als einen so kostbaren Buddhakopf zu verkaufen. Außerdem wollte er Stilvergleiche durchführen, um die Zuordnung zur künstlerischen Schule vornehmen zu können. Auch Seipel war daran gelegen, alle Zweifel an der Herkunft zu beseitigen. Gleich am nächsten Tag um elf kam Christian Luczanits, Kunsthistoriker am Institut für Südasien, Tibet- und Buddhismuskunde der Universität Wien mit seiner Digitalkamera. Zurück im Institut stellte er Vergleiche mit publizierten Buddhaköpfen an und studierte Filmdokumente. Ein zufälliges Gespräch am Gang mit einem deutschen Nepalexperten, der zu einem Forschungsjahr am Institut weilt, führte letztlich zur Aufklärung der Herkunft: Innerhalb weniger Tage konnte der Kopf in der Fotodatenbank von Min Bahadur Shakya, Direktor des Nagarjuna Instituts in Nepals Hauptstadt Katmandu und ausgewiesener Fachmann für die buddhistische Kunst Nepals, als Dipankara Buddha mit dem Namen Kanakamuni identifiziert werden. Dank Internet kam alles auf den Tisch: Fotos der Prozessionsmaske in hoher Auflösung zum genauen Vergleich von objekt-spezifischen Reparaturstellen, die Diebstahlsanzeige, nepalesische Zeitungsberichte. Schicklgruber blieben die Höhen und Tiefen der Fahndungsarbeit erspart, denn er weilte gerade auf Dienstreise in Frankreich. Der Anruf bei der Interpol und die Vorlage der Dokumente führte am 8. Mai 2002 zum Beschlagnahmebeschluss nach § 164 StGB (Hehlerei), weil "... Fachleuten - wie Kunsthändlern - bekannt sein muss, dass solche Statuen nicht im Handel sind und daher nur diebischer Herkunft sein können...". Der Buddhakopf bleibt im Wiener Völkerkundemuseum gelagert, bis über seine Zukunft entschieden ist. Das Auftauchen und die schnelle Identifizierung des heiligen Kopfes in Wien ist eine Sensation in der Kunstszene. Normalerweise bleiben derart wertvolle Stücke fünf bis sechs Jahre im Dunkeln, bevor sie (gefahrlos) am Kunstmarkt auftauchen. Weil die Buddhas aus der Königsstadt Patan älter und schöner als die von Katmandu sind, ist ihre Gefährdung besonders groß. Es fehlen noch drei weitere Buddhaköpfe; ein Stück konnte Min Bahadur Shakya bereits im Bombay Art Museum identifizieren, über die beiden anderen weiß man noch nichts. Für K.s guten Ruf ist die Story eine Katastrophe: Laut seinem Wiener Anwalt Michael Göbel hatte ihm ein nepalesischer Händler Schwarz-weiss-Aufnahmen des Objektes mit dem Angebot geschickt, das Stück samt gültigen Ausfuhrpapieren nach Deutschland zu liefern. Als der Kopf kam, war er in fünf Teile zerlegt und von schwärzlichen Verunreinigungen bedeckt. Ob mit dieser Farbschicht ein eventuell misstrauischer Zöllner getäuscht werden sollte oder welche sonstige Bewandtnis es damit hat, konnte bis jetzt niemand beantworten. K. ließ den Kopf reinigen und machte sich auf den Weg nach Wien. Warum Wien? Das Völkerkundemuseum in Wien ist zweifellos ein honoriges altes Haus, führt aber trotz seiner günstigen Lage im Seitentrakt der Neuen Burg ein ziemliches Mauerblümchen-Dasein. Nur wenige Wiener kennen es überhaupt. Noch dazu hat die Burghauptmannschaft schon vor Jahren den Burggartenseitigen Vorplatz wegen Baufälligkeit gesperrt, sodass die ideal gelegene Rückseite nicht als Eingang für die vorbeiziehenden Touristenströme genützt werden kann. Warum also Wien? Anwalt Göbel sagt, sein Mandant sei vom Fachwissen des Wiener Experten Schicklgruber so beeindruckt gewesen, dass er ihm das unerwartet schöne Stück gerne zeigen wollte. Vielleicht war das Motiv aber weniger schmeichelhaft: So gute Kontakte nach Nepal und einen so schnellen Informationsaustausch hatte K. vielleicht nicht erwartet. Und im internationalen Vergleich kleinere Häuser schauen möglicherweise auch nicht so genau hin, wenn sich die Chance auf ein außergewöhnliches Stück bietet. Doch Schicklgruber und Seipel sind sich einig, dass das Haus nicht vom (illegalen) Ausverkauf der Kunstschätze Nepals profitieren will: Die religiösen Wünsche der Gläubigen seien wichtiger als die Interessen des Museums. Für die wenigen hundert in Österreicher lebenden Nepalesen und Tibeter ist die 'Zwischenstation' des Buddha in Wien ein Segen. Das Museum ermöglicht ihnen die religiöse Verehrung - authentisch mit Butterlämpchen, Räucherstäbchen, Opfergaben und ,Katta', den weißen Schals der Ehrerbietung. Mindestens so spannend wie die Geschichte der Anreise Buddhas wird seine Zukunft. Derzeit liegt der Fall in den Händen der Staatsanwaltschaft beim Landesgericht Wien 272 Ur 156/02 (Untersuchungsrichter Dr. Drahos) sowie 85 St 14/02b (Staatsanwaltschaft Wien Dr. Redl). Da sich der beschuldigte K. nicht in Österreich aufhält, wird das Verfahren von der österreichischen Staatsanwaltschaft auf dem ministeriellen Behördenweg den deutschen Gerichten zur Weiterführung angeboten. Bis die Antwort (in einigen Wochen) eintreffen wird, ist das österreichische Verfahren nach § 412 vorläufig abgebrochen. Falls Deutschland den Buddhakopf als Beweisgegenstand zu sehen wünscht, wird er übergeführt. Alle hoffen, dass das nicht der Fall ist, damit er endlich zurückgebracht werden kann: Er ist ein unersetzliches Stück von großer religiöser Bedeutung. Einen großen Auftritt hat er bereits verpasst: Am 26. Mai wurde Buddha Jayanti - Buddhas Geburtstag - gefeiert, bei dem er auf einem hohen Gestell und in prächtiger Robe durch die Stadt getragen worden wäre. Die rechtmäßigen Besitzer - die religiöse Glaubensgemeinschaft aus Patan - haben zu wenig Geld, um ihn heimzuholen. K. hat angeboten, die Rückstellung mitzufinanzieren, auch der Verein ,Freunde der Völkerkunde' will Spenden sammeln, private Nepalreisende haben angeboten, ihn mitzunehmen. Der Flugpreis ist nicht das Problem. Auch die Übernahmsbestätigung für die offiziellen Besitzer ist nicht das Problem. Wichtiger ist: Man muss dem heimgekehrten Buddha ein prunkvolles Fest bereiten, bei dem er durch die Straßen getragen wird. Denn nur die breite öffentliche Aufmerksamkeit für ihn kann (einigermaßen) sicherstellen, dass er nicht sofort wieder auf unbekannten Wegen im Kunsthandel auftaucht. Mit gültigen Ausfuhrpapieren und unversehrten Plomben, versteht sich. (Susanne Krejsa/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20. 10. 2002) * Name der Redaktion bekannt und wegen des schwebenden Verfahrens geändert.