Ein Vergleich mit dem Deutschen Literaturinstitut in Leipzig Von Katja Gasser und Anita KapshammerIst Dichten ein Beruf? Ilse Aichinger antwortet auf die Frage, was sie von Beruf sei kurz: "privat". Noch immer ist der schöpferische Akt mit "Vergeheimnissung" behaftet. Die Beweggründe des Extrembergsteigers, der die höchsten Gipfel erstürmt, sind noch eher einsehbar als die entscheidenden Triebkräfte für das Schreiben von Literatur. Das Bestreben, Einblick zu gewinnen in das eigentliche Tun, den Schaffensprozess, steht dem Postulat des schöpferischen Wesens der Literatur gegenüber. Eine Tagebuchnotiz Heimito von Doderers lautet: "Dem Künstler ist der Arbeitsvorgang eines anderen Künstlers so zuwider, wie ein fremder Geschlechtsakt." Wird also die Literatur von Kräften bestimmt, die nicht sichtbar sein wollen oder können, deren Energien umso einflußreicher sind, je konsequenter sie im Halbdunkel der Intimität verweilen? Zunehmend wird dieser intime Akt zum Thema gemacht: Literatur ist nach wie vor einem Du zugewendet. Und um Öffentlichkeit ist es auch Dichterschulen zu tun: der Schaffensprozess wird enttabuisiert, das dahinterstehende technische Können befragt und vermittelt, der Arbeitscharakter verdeutlicht: dem Genieblitz folgt Disziplin, Kontrolle, Korrektur. Dichterschulen provozieren die Frage nach der Lehr-und Lernbarkeit von Literatur, die eine Sonderstellung innerhalb der Künste einzunehmen scheint. Musik, bildende und darstellende Kunst werden gelehrt, warum fehlt diese Traditionslinie in der Literatur? Ist sie sperriger und deshalb nicht institutionalisierbar? Fest steht, dass das Lehren und Lernen von Literatur nicht zu den allgemeinen Kulturtechniken zählt. Vor diesem Hintergrund wird der hohe Wellenschlag verstehbar, den die "schule für dichtung" (sfd) in wien mit ihrer Gründung auslöste: Sie trat im April 1992 gut gewappnet in die Öffentlichkeit: mit praktischen Schreibklassen in Form einer Kurzakademie, sowie mit einem internationalen Symposion zum Thema der Lehr-und Lernbarkeit von Literatur. Literatur sei genau so wenig und genau so gut lehrbar wie Musik und bildende Kunst, meinte Gerhard Rühm damals. Nicht lehrbar sei natürlich die Begabung, sie sei Voraussetzung. Diese einleitenden Worte Rühms treffen den Grundtenor der Lehr-und Lernbarkeitsdebatte. Technik also nicht als Hindernis begriffen, sondern als substantielles Mittel, das den kreativen Akt stützt, ohne ihn auszuhöhlen. H.C. Artmann, Wolfgang Bauer, Gerhard Rühm, Allen Ginsberg, Anne Waldman, Inger Christensen: von Anfang an haben arrivierte österreichische und internationale AutorInnen wesentlich das sfd-Konzept mitgetragen. Lehrende, das stand von Anbeginn an fest, haben ausschließlich Dichter zu sein, keine Wissenschaftler, Journalisten oder Verleger. Und das vor einem bestimmten Hintergrund: das Schreiben hat auch ohne Dichterschulen mit Lernen zu tun: Texte entstehen immer kontextgebunden. AutorInnen haben immer schon von anderen AutorInnen gelernt. Texte existieren nur neben und zwischen anderen Texten, durch die Beziehungen, in denen sie zueinander stehen. Die Bedeutung erhält ein Werk nur in Relation zu anderen: "Ich habe gelernt" (Horaz). Ilse Aichinger in einem Interview: "Ich finde, dass die Sprache zerbrochen ist. Man sieht das schon bei Musil, einem der genialsten und vor mir am meisten bewunderten Schriftsteller. Jetzt fangen viele Schriftsteller wieder an, chronologisch zu schreiben. Ihre Sprache ist viel zu konventionell und zu beliebig; es ist, als hätte Musil nie existiert. Sie begreifen nicht, dass die Sprache einen Prozeß durchmachen muss." Im Bewusstsein, dass Sprache einem ewigen Prozess unterliegt, ist auch der Poesiebegriff der sfd gefasst. Das Experimentelle hat im Vordergrund zu stehen, das stand für die sfd von Anfang an fest: die Wiener Gruppe, die Beat Generation und die Poètes Sonores sieht die Wiener Dichterschule als ihre richtungsweisenden Begleiterinnen an. Scheu hat man weder vor Pop noch vor digitalen Medien: Blixa Bargeld, Falco und Nick Cave, Curd Duca und Orhan Kipcak taten, um nur einige zu nennen, mit. Weg von Milton, hin zu Madonna, ist seit dem Aufkommen der Cultural Studies auch der Trend in der Literaturwissenschaft. Literatur ist nichts endgültiges: ein Werden mit ungewissem Ausgang. Zur Zeit ist sie wieder in aller Munde: Frankfurt und die Buchmesse, Stockholm und der Nobelpreis. Aber was ist sie, diese Literatur? Ist sie einfach eine kulturelle Praxis unter anderen, zu der die Kulturwissenschft geneigt ist, sie zu machen? Sind also die Texte von H.C. Artmann und die Songs von Falco im gleichen Lichte zu betrachten? Da scheiden sich die Geister. Während einerseits das Gerücht vom Untergang der Dichterzunft umgeht, kommt durch die Hintertür der Dichter als Unterhaltungskünstler herein. Die Hinwendung zur "Sprachkunst" hebt Christian Ide Hintze, dem die Gesamtleitung der sfd obliegt, in seinen einleitenden Worten zur Festveranstaltung anläßlich des 10jährigen Jubiläums im Prunksaal der Nationalbibliothek Wien hervor: Es gehe der sfd darum, Techniken zu vermitteln, die die Sprachkunst betreffen und daher müsse man die Sprachkunst auch soweit spannen, wie die Sprache geht: "Das Geschriebene, das Gesprochene, das mit Gestik Unterstützte oder eben Songwriting, das unbedingt als Sprachkunst anzusehen ist." In der Gründungsidee verankert war der Ausbau der sfd zu einem Ganzjahresbetrieb, was sich aus konzeptionellen sowie finanziellen Gründen bis heute nicht durchsetzen konnte. Es bildete sich zunehmend der Event-Charakter heraus: kurze, unmittelbare Begegnungen mit hochkarätigem Personal. Ein Konflikt der sfd ist bereits am Namen ablesbar: einerseits das Streben nach institutionellen Strukturen, andererseits das Misstrauen gegen bestehende Hochschulmodelle: Die Wiener Dichterschule auf der Suche nach ihrer Form. Dass man sterben gehen kann, wenn man die endgültige Form gefunden hat, würde auch H.C. Artmann bestätigen, erst recht wenn es um Literatur geht, der die Endgültigkeit so gar nicht liegt. Eine Dichterschule habe den Organisationsprinzipien eines Gedichts zu folgen, schrieb Christian Ide Hintze einmal. Kann eine Dichterschule in ihrer Struktur den Gesetzen der Literatur folgen? Also Normen überschreiten, sich in steter Transformation üben? Im Sinne der Verschriebenheit an konsequente Wandlung ließe sich daher die Abwanderung der sfd ins Internet deuten, die im Jahr 2000 erfolgte. Dass sie finanziell bedingt war, sei nur am Rande erwähnt. Marlene Streeruwitz, die bisher drei Internetklassen leitete, sieht in der Arbeit mit dem Medium eine große Möglichkeit, gerade für eine bestimmte Stufe von Lernen: Anonymität - nichts anderes sei da und der Text müsse sich selber erklären und damit sei das erreicht, was eine Veröffentlichung macht, "dass nämlich die Person hinten weg bricht und der Text allein überleben muss. Und das ist eine Situation, die eine Wirklichkeit nachstellt, die notwendig ist und die erreicht werden soll." Die Veröffentlichung ist Ziel eines jeden Schreibenden, der in dieser Tätigkeit seine Profession gefunden hat: Was Literaturschulen mit Gewißheit leisten können ist, einen Ort der Begegnung anzubieten, woraus sich Netzwerke entwickeln können. So haben sich etwa TeilnehmerInnen der sfd zu diversen Autorengruppen zusammengefunden: ((laut)), grauenfruppe, ellipse oder das englischsprachige Autorenkollektiv "labyrinth". Dass Jo Lendle Lektor beim DuMont Verlag ist oder Juli Zeh bei der Frankfurter Buchmesse posiert, kommt nicht von ungefähr: nicht nur diese beiden Absolventen des Deutschen Literaturinstituts Leipzig profitierten von den Startvorteilen, die die Einbindung in ein Netzwerk bieten: "Networking" kann sich auch in der Literatur bezahlt machen. Im Gegensatz zur sfd gibt es am Literaturinstitut Leipzig klare Aufnahmekriterien. So wie sich die sfd an dem amerikanischen Vorbild der "Jack Kerouac School of Disembodied Poetics" orientierte, war dem Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL) die Universität in Iowa ein Vorbild, an der bereits 1939 der erste "Writer's Workshop" angeboten wurde. Es ist nicht verwunderlich, dass es in beiden Fällen amerikanische Institutionen sind, die sowohl die sfd als auch das DLL in ihrer Gründung beeinflußten: im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum, wo die Genieästhetik bis heute nachwirkt, hat in den USA das Bewusstsein, dass die Sprachentwicklung wesentlich zur Persönlichkeitsbildung beiträgt und somit das "Kreative Schreiben" eine lange Tradition. Dem DLL geht es explizit um Ausbildung von Schriftstellern sowie um eine Erweiterung des Spektrums hin zum Kulturjournalismus, zur Kritik, zur Essayistik, was sich auch im Lehrplan niederschlägt. Dieser gänzlich divergierende Ansatz zur sfd wurde auch bei der Düsseldorfer Fachtagung "Studienziel: Dichter" deutlich, wo Ide Hintze verlautbarte: "Vermeiden Sie die gefahr, nun über die literatur nur bloß ein altes gerüst, zum beispiel das kunsthochschulgerüst zu stülpen!" Die Chance sieht Hintze gerade im Fehlen von entwickelten Lehrstrukturen und appelliert an die Inventionskraft der Dichter. "Anything goes", meint Josef Haslinger, seit 1996 ständiger Dozent und seit 2000 Direktor des DLL und sieht in der sfd "ein literarisch interessantes Happening". Leipzig und die Dichterschule in Wien sind nicht die einzigen Modelle, die sich jenseits von Schreibwerkstätten am Lehren von literarischem Schreiben versuchen. Mit dem von Walter Höllerer ins Leben gerufenen "Literarischen Colloquium Berlin" wurde in den 60er Jahren erstmals ein Diskussionsforum geschaffen und Workshops zum literarischen Schreiben angeboten. Eine akademische Alternative zu Leipzig bietet der von Hans Josef Ortheil eingerichtete Studiengang "Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus" in Hildesheim, wo man als Kulturwissenschafter abschließt. Eine andere Form der Auseinandersetzung stellt das "Seminar für Romanautoren" der Stiftung Bertelsmann im Literaturhaus in München dar. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang natürlich auch die Klagenfurter Literaturkurse. 2500 Jahre nach Sappho steht also fest: Dichtung ist lehrbar - doch macht der Besuch einer Dichterschule noch keinen Dichter aus. "Dass ein Dichter sehr viel lernen muss, um ein guter Dichter zu werden, aber all das, was einen Dichter ausmacht, nicht erlernbar ist", sagt Wolfgang Bauer. Dichterschulen können also nicht mehr sein als die Leiter, die es wegzuwerfen gilt, nachdem man auf ihr hinaufgestiegen ist.