Wien - Im Fall der Wiener Staatsoper liegen Himmel und Hölle sicht- und hörbar wohl in unmittelbarer Nachbarschaft. Glaubte man sich am Montag während der Premiere von Giuseppe Verdis Simon Boccanegra tatsächlich in einem der führenden Opernhäuser der Welt, so haben zwei Tage später im Rheingold dem arglosen Wagnerfreund alle Teufel des Repertoirebetriebs die Staatsopernhölle so richtig heiß gemacht.

Ähnlich dem Gesetz von der Erhaltung der Materie regiert im Bereich des Musiktheaters ein solches von der Erhaltung der Hässlichkeit. Im Falle des durch Franz Kapplmüllers Ausstattung mit dieser Eigenschaft überreich gesegneten Rheingold scheint dessen Unansehnlich- und Unanschaubarkeit seit zehn Jahren auf so perfekte Weise konserviert, dass dieser "Vorabend", für das, was noch folgen könnte, Schlimmes befürchten lässt. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.10.2002) Und dies, obwohl Adolf Dresens Regie aus dem, was sich in diesen Dekorationen abspielt, schon weitgehend verschwelt ist, sodass die Augenblicke, in denen gegen Schluss die Lichtanlage außer Kontrolle geriet und es im Zuschauerraum und auf der Bühne abwechselnd grell hell und stockfinster wurde, noch zu den animierendsten Eindrücken zählten, die diese seltsame Veranstaltung zu vermitteln imstande war.

Was Wunder, wenn sogar ein Alberich der Weltklasse wie Günter von Kannen sich anlässlich seines Staatsoperndebüts im ersten Bild zunächst einmal in diese szenische Tristesse hineinfinden musste und erst im Verlauf der Aufführung zu seiner an ihm gewohnten szenischen und sängerischen Dominanz gefunden hat. Einem zweiten Debütanten, nämlich Peteris Eglitis als Wotan, hätte auch die erlesenste Inszenierung kaum dazu verholfen, seinem gestischen und stimmlichen Leichtgewicht die nötige Durchschlagskraft zu verleihen. Ansonsten hätte die Besetzung dieser von Adam Fischer vom Pult aus mit wechselndem Glück gesteuerten Aufführung alle Voraussetzungen für einen passablen Opernabend geboten. Neben Matti Salminen als Fasolt, Ernst-Dieter Suttheimer als szenisch virtuosem Mime und Heinz Zednik als Loge von eindringlicher Eleganz waren es vor allem Mihoko Fujimura als geradezu lyrisch innige Fricka und Daniela Denschlags Erda, die immer wieder aufhorchen ließen. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.10.2002)