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Schreyer: "Erwarten, dass die Niederlande einen Weg finden, handlungsfähig zu sein."

foto: apa/cerles
STANDARD: Was kostet die gesamte Erweiterung? Schreyer: Nach dem jetzigen Vorschlag sollen für Agrar- und Strukturhilfen sowie sonstige Förderungen, aber ohne zusätzliche Ausgleichszahlungen in den ersten drei Jahren netto an die Erweiterungsstaaten nicht mehr als sieben bis acht Milliarden Euro fließen. Das sind Kosten von cirka zwanzig Euro für jeden jetzigen EU-Bürger. Die Erweiterung ist bezahlbar. STANDARD: Zum Problem der Ausgleichszahlungen. Könnte man das nicht viel einfacher mit einer EU-Steuer machen? Schreyer: Diese Thema EU- Steuer hat mit der Erweiterung nichts zu tun. Es geht ja nicht um neues Geld, sondern um eine Änderung in der Art der Finanzierung des EU- Haushalts. Ich hoffe aber sehr, dass sich der Konvent mit dieser Frage befasst. Mein Ansatz ist: Wir sind eine EU der Mitgliedssaaten und der Bürger, beides sollte sich im Finanzierungsansatz spiegeln. Das heißt auf der einen Seite die Beiträge der Mitgliedssaaten auf der anderen Seite auch eine direktere Beziehung des Steuerbürgers zum europäischen Haushalt. STANDARD: Wäre es wünschenswert, dass das Parlament auch die Steuerhoheit bekäme? Schreyer: Ich bin nicht dafür, eine neue Steuer zu erfinden, sondern eine Vereinbarung darüber zu treffen, dass von einer bestehenden Steuer, die harmonisiert ist, ein Teil direkt in den europäischen Haushalt kommt. STANDARD: Das heißt, dass z. B. ein gewisse Anteil der Mehrwertsteuer zweckgebunden für europäische Anliegen zur Verfügung gestellt wird? Schreyer: Das könnte ein Modell sein. STANDARD: Die niederländische Regierung ist nach 100 Tagen zurückgetreten. Könnte das den Erweiterungsprozess verzögern ebenso wie ein neuerliches Nein der Iren zu Nizza? Schreyer: Das Referendum in Irland ist für den gesamten Zeitplan der Erweiterung entscheidend. Hinsichtlich der Situation in den Niederlanden erwartet die Kommission angesicht der Bedeutung der nächsten EU-Gipfel, dass die Niederlande einen Weg finden, handlungsfähig zu sein. STANDARD: Ist es für Sie rational nachvollziehbar, dass die irische Wählerschaft so skeptisch gegenüber den Erweiterung ist oder vermuten Sie innenpolitische Gründe, zumal Irland stark von der EU profitiert hat? Schreyer: Beim letzten Referendum sind sicher nicht die Fragen, die direkt mit dem Vertrag verknüpft waren im Vordergrund gestanden. Irland hat tatsächlich von der EU-Mitgliedschaft stark profitiert. Die irische Erfolgsstory wäre ohne die EU sicherlich nicht eingetreten. Das Land hat in kurzer Zeit den wirtschaftlichen Abstand nicht nur aufgeholt, sondern viele Länder überholt. Dennoch erhält Irland noch bis 2005 finanzielle Unterstützung und ist Nettoempfänger aus dem EU-Haushalt. Die Nettozahlungen machten im letzten Jahr 1,1 Prozent seiner wirtschaftlichen Leistung aus. STANDARD: Einige Staaten würden nach der Erweiterung gleich zu Nettozahlerländern werden. Wo sehen Sie die Kompromisslinie, damit das vermieden wird? Schreyer: Die Kommission ist der Meinung, dass es politisch nicht akzeptabel ist, dass ein neues Mitgliedsland gleich Nettozahler wird. Denn alle neuen Länder haben wirtschaftlich einen großen Abstand zum EU-Durchschnitt. STANDARD: Sie sind die einzige grüne Kommissarin. Gibt es so eine Grüne Europavision? Schreyer: Es geht darum, die Integration weiter zu entwickeln. Wir sind nämlich nicht nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern eine politische solidarische Gemeinschaft. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 18.10.2002)