Es ist ein bemerkenswertes Phänomen des österreichischen Aufbruchs nach Europa und in liberalisierte Märkte: Kaum werden bisherige Monopole aufgehoben, drängt es die heimischen Exmonopolisten mit tatkräftiger Unterstützung der Politik zu so genannten "österreichischen Lösungen". Ob beim Strom, der Milch oder zuletzt beim Gas: Patriotismus ist gefragt.Der letzte Streich der Vaterlandsverbundenheit ist die Gas-Allianz, der Zusammenschluss der ost- und oberösterreichischen Gasversorger, die untereinander vier Fünftel des heimischen Gasmarkts aufteilen. Gerade erst - am 1. Oktober - wurde von der Politik dem Konsumenten ein wahlkämpferisches "Der Markt ist frei!" entgegengerufen - kurz danach nehmen wir zur Kenntnis, dass die Konzentration auf dem heimischen Gassektor größer, nicht geringer wird. Kernproblem Infrastruktur Das Kernproblem der Deregulierung oder Liberalisierung von Versorgungseinrichtungen ist deren jeweilige Infrastruktur, die Monopole oder De-facto-Monopole so natürlich erscheinen lässt. Niemand, der bei Trost ist, wird ein zweites oder gar drittes Gas- oder Stromnetz von Haus zu Haus legen, um ein Konkurrenzprodukt anzubieten. Es gibt fast immer nur einen Netzbetreiber - ergo fehlt die Konkurrenz, wie wir sie im Handel mit Waren kennen. Also besteht die "Freiheit" des Marktes darin, dass die Infrastruktur auch von anderen benutzt werden kann - man schickt den Strom oder das Gas durch die Leitungen des regionalen Exmonopolisten. Damit haben zwar alle die gleichen Leitungskosten (die kontrolliert werden), aber unterschiedlichen Energiekosten, womit unterm Strich ein Preisunterschied entsteht. So weit die Theorie - an deren Entwicklung übrigens der jüngste Nobelpreisträger Vernon Smith durch seine Experimente wesentlich mitbeteiligt war. In der Praxis kann dies bei Strom funktionieren, bei Gas hingegen wird es überaus schwierig. Denn was einen Anbieter zum Letztverbraucher drängt, ist der Rohstoff: Wer selbst ein Kraftwerk hat und Strom produziert, will diesen verkaufen, also macht er einem Platzhirschen seinen Markt streitig. Bei Gas ist die Sache anders, denn im Land wird kaum Erdgas gefördert - es wird fast alles importiert. Das macht die Konkurrenz unmöglich, denn wenn die Netzkosten für alle gleich sind und die Gaskosten detto, dann ergeben sich keine unterschiedlichen Preise. Es sei denn, dass aus dem Ausland ein Konkurrent kommt, der das Gas zwar gleichfalls zukauft, aber bessere Verträge hat (weil er ungleich größere Mengen kauft - wie z. B. deutsche Anbieter). Diese Konkurrenz ist in erster Linie an einer Hand voll Großkunden interessiert, denn die Betreuung vieler kleiner Abnehmer ist mühsam und kostenintensiv, während es bei den Großen schlicht um die Kosten des Rohstoffs geht. Übermächtige Konkurrenz Gegen diese Konkurrenz (insbesondere E.ON und Ruhrgas), die um einen Faktor zehn größer ist als unsere kleine heimische Gaswelt, positioniert sich die "österreichische Gaslösung". Durch den Zusammenschluss wird es tatsächlich billiger - aber nur für wenige Großkunden. Das Problem der Politik ist, dass sie die Liberalisierung stimmenmaximierend so verkaufte, als wäre sie das ureigene Anliegen Hunderttausender Haushalte und nicht von ein paar Dutzend Betrieben. Und die Gefahr des Zusammenschlusses ist, dass man sich bei den Kleinen holt, was man zur Verteidigung der Großkunden braucht. Über diese Gefahr zu wachen ist jetzt Aufgabe des Regulators, der damit in die Rolle einer Art gehobenen Preiskommission kommt. Die Philosophie der deregulierten Märkte ist noch zu jung, um wirklich zu wissen, ob sie das optimale Modell für die Versorgung mit Strom und Gas ist. In der EU ist Österreich erstaunlicherweise zu einem Vorreiter der völligen Freigabe geworden. Diese Experimentierfreude ist eine erfrischende Alternative zur bewährten "Was brauch' ma des?"-Haltung - aber nur dann, wenn bei Bedarf auch nötige Korrekturen vorgenommen werden. (DER STANDARD, Printausgabe 16.10.2002)