Der US-Superstar Moby überzeugte bei seinem
einzigen Österreich-Auftritt trotz eines kurzen
qualitativen Durchhängers mit einer
euphorischen Liveshow. Zum eigentlichen Star
des Abends wurde aber die wunderbare
Sängerin Diane Charlemagne.
Wien - Gegen Mitte der Show
riss kurz der Faden. Plötzlich
stürzten die gefinkelten Mosaike aus Clubsounds, Punk-Rock und dem gewissen Etwas
auf ein Niveau ab, das nicht
mehr allzu weit von austauschbarem Großraumdisco-Geknalle entfernt lag. Moby,
das energiegeladene Zentrum
der Aufmerksamkeit, beschäftigte sich zu sehr damit, am -
ohnehin zu hohen - Keyboard
Beischlafbewegungen zu simulieren oder, ziemlich auftragslos, auf der Bühne herumzusprinten und "Yeahs!"
und ähnlich inhaltsschwere
Aussagen ins Mikrofon zu
schreien.
In dieser Konzertphase
wirkte er ein wenig wie Henry
Rollins - ohne Muskeln und
Tattoos. Er vernachlässigte jene Kunstfertigkeit, die ihm
zuvor und später wieder
scheinbar mühelos von der
Hand ging. Nämlich elektronische Musik mit Stimmungen
und Stilen so anzureichern,
dass sie seinem Publikum eine
gleichermaßen originäre wie
nachvollziehbare Identifikationsmöglichkeit bot. Die großen Gefühle wichen aufgeblasenen Beats. Kurz.
Moby versus Homer
Dass Moby zumindest auf
seinen Platten alles richtig
macht, belegen die Verkaufszahlen, die der 36-jährige New
Yorker damit einfährt. Gute 14
Millionen Stück hat der als Richard Melville Hall Geborene
von seinem 1999 erschienenen Album
Play
verkauft.
Genug also, um ein Leben als
Homer Simpson - Couch,
Glotze, Bier - ebenso sorglos
führen zu können wie das eines Workaholics. Und obwohl
Moby - ein direkter Nachfahre
Herman Melvilles - ein ausgewiesener Simpsons-Fan ist,
entscheidet er sich persönlich
doch lieber für den zweiten
Lebensentwurf: Hackeln.
In seinem Fall bedeutet das
die konsequente Fortsetzung
eines Weges, der ihn in jene
raren Höhen der Popwelt führte, in denen er sich so gar nicht
superstarmäßig benimmt. Den
einzigen Luxus - na ja -, den er
sich gönnt, ist der, so zu bleiben, wie er ist: der nette kleine
Punk von der anderen Seite
der Straße. Der Typ, der statt
Unterwäsche von Supermodels lieber alte Feldaufnahmen sammelt und die Arbeit in seinem Heimstudio der zelebrierten Inhaltslosigkeit anderer Popstars seiner Dimension vorzieht.
Diese Haltung spiegelte am
Dienstag sein Liveauftritt in
der Kurhalle Oberlaa wieder.
Denn abgesehen von der eingangs erwähnten Fahrlässigkeit überbot der New Yorker
live eigentlich die Erwartungen. Der Einsicht folgend,
selbst über keine allzu tolle
Stimme zu verfügen, überließ
er einen Gutteil des Gesangs
der großartigen Diane Charlemagne, die so zum eigentlichen Star des Abends wurde.
Ihr war es zu verdanken,
dass so wunderbare Stücke
wie
In This World
oder
In My
Heart
live dieselbe Intensität
erreichten wie auf Mobys atuellem Album
18
. Die füllige
Sängerin interpretierte, vom
Streichersatz präzise unterstützt, was Moby auf Platte
von alten Gospel- und Field-Recordings aus dem Sampler
zuführt und stahl dem kleinen
Sympathieträger schon rein
ob ihrer physischen Präsenz
stellenweise die Show.
Das zuzulassen machte Moby nicht nur zusätzlich sympathisch, sondern auch zu einem der wichtigsten "Soul-Botschafter" dieser Tage. Moby selbst war an der Percussion am auffälligsten und als
selbstironischer Entertainer,
der vor als "eigenverliebt" angekündigten Metal-Soli genauso wenig zurückschreckte
wie vor einer auf Punk dargebotenen Version von Black
Sabbaths
Paranoid
.
Starkstrommäßig ging auch
ein von ihm verfasstes James-Bond-Thema in den Saal,
während der schwer nach David Bowie klingende Hit
We
Are All Made Of Stars
mehr die
harmoniesüchtigen Bedürfnisse des Publikum befriedigte, bevor Moby sich wieder "Sexy Disco, Sly & The Family
Stone-Style" widmete.
Auch wer von dem bekannt
engagierten Künstler ein
Statement zur momentanen
Weltlage erwartete, wurde bedient: Moby entschuldigte
sich für die Politik "seines"
Präsidenten und gab schlicht
und ergreifend zu, sich dieser
Tage "zu schämen, ein Amerikaner zu sein".
Und weil sich das Gute,
wenn es einmal losgelassen
ist, ja kaum mehr bändigen
lässt, kredenzte die insgesamt
zehnköpfige Band dem begeisterten Saal im Zugabenblock
noch flott
Blitzkrieg Bop
von
den Ramones und
Creep
von
Radiohead als Dessert. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2002)