Frankfurt - Hinter den jüngsten Kurseinbrüchen bei
der Commerzbank vermutet Bank-Chef Klaus-Peter Müller ein
abgekartetes Spiel von Londoner Medien und Finanzkreisen. "Angesichts
der Massivität der Attacken mag ich nicht an einen Zufall glauben",
sagte Müller dem Nachrichtenmagazin "Focus". "Man muss sich schon
über das massive Feuer von Londoner Finanzzeitungen wundern",
erklärte er mit Blick auf die britische Tageszeitung "Financial
Times", deren Berichte über eine E-Mail der US-Investmentbank Merrill
Lynch zur Lage bei der Commerzbank einen Einbruch der Bankaktien
ausgelöst hatte.
Merrill Lynch hatte per E-Mail die Ratingagentur Standard & Poor's
um eine Einschätzung zu Marktgerüchten über angebliche finanzielle
Schwierigkeiten der Commerzbank gebeten. Die Commerzbank bestritt
Liquiditätsprobleme vehement. Die deutsche Bundesfinanzaufsicht
ermittelt inzwischen wegen des Verdachts auf Kursmanipulationen.
Dementi
Merrill Lynch und die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P)
dementierten am Freitagabend, die E-Mail an die Medien gegeben zu
haben. Eine interne Prüfung habe ergeben, dass die Anfrage einzig und
allein an S&P geschickt worden sei, erklärte Merrill. Auch die
Ratingagentur S&P teilte mit, ihr sei nicht bekannt, wie die E-Mail
an die Medien gelangt sei und wies darauf hin, dass es nicht nur von
Merrill Anfragen zur Commerzbank gegeben habe. S&P habe das Schreiben
an die Commerzbank mit der Bitte um Stellungnahme geleitet. Diese
habe die Gerüchte zurückgewiesen. "Merrill Lynch dankt Standard &
Poor's für die Klarstellung und die Kommentare zur Überprüfung der
die Commerzbank betreffenden E-Mail", teilte die US-Investmentbank
mit.
Commerzbank-Sprecher Ulrich Ramm sagte, die Bank habe die E-Mail
von S&P einen Tag vor Erscheinen des Zeitungsartikels erhalten. Die
Frage, ob die Mail aus seinem Hause weitergeleitet worden sei, sei
vollkommen abwegig. Die Commerzbank gehe davon aus, dass die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ihre Untersuchungen
zu möglichen Falschmeldungen über die Commerzbank weiterführe. "Das
dürfte dann auch von Interesse sein für die Compliance-Abteilung von
Merrill Lynch."
Commerzbank-Chef Müller sagte in dem "Focus"-Interview mit dem
Nachrichtenmagazin "Focus", die Gerüchte könnten eine gezielte Aktion
gewesen sein. Die "Financial Times" habe eine zehn Tage alte Meldung
über Entlassungen aufgeblasen. Eine derartige Massivität wecke
Zweifel, ob dies noch Zufall sei. Müller vermutet Hedge-Fonds am
Werk, die spekulativ Aktien verkaufen, die sie noch nicht besitzen
und darauf setzen, die Wertpapiere bis zur Geschäftserfüllung
billiger zu beschaffen. "Einige Leute in London haben sich wohl
gedacht: Da gibt es in Deutschland eine Bank, die zu niedrige Erträge
hat. Wenn man die nun bei einem Aktienkurs von neun Euro immer wieder
schlechtredet, gleichzeitig Aktien leer verkauft und dann bei fünf
Euro wieder einsteigt - damit könnte sich etwa ein spekulativer Fonds
sein Jahresergebnis sichern."
Nach anderen führenden Vertretern der Finanzbranche trat auch der
Deutschland-Chef von Morgan Stanley, Lutz Raettig, Befürchtungen über
eine Krise der Branche in Deutschland entgegen. "Eine Bankenkrise in
Deutschland ist nicht in Sicht", sagte er der "Welt"
(Samstagausgabe). Weder die Commerzbank noch irgendein anderes großes
Kreditinstitut habe Liquiditätsprobleme. Die Banken müssten
allerdings ihre Kostenprobleme vor allem in der Personalstruktur in
den Griff bekommen. "Mit weiteren Entlassungen ist zu rechnen."
Insgesamt haben die Banken in Deutschland bislang den Abbau von rund
40.000 Stellen angekündigt. (APA/Reuters)