Hamburg - Gebirge, Erdplatten, Ozeane: Die Dinge, mit denen sich Geowissenschafter beschäftigen, sind meist groß. Doch mehr und mehr rücken kleinere Objekte in den Mittelpunkt des Interesses: Geologen fangen an, die "Nanowelt" zu erkunden. Die zunehmend untersuchten Objekte sind unvorstellbar klein: Ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter; Nanopartikel sind also 50.000-mal dünner als Haare.Der Geologe Steven K. Lower von der University of Maryland schreibt dazu im Fachmagazin Eos, er erhoffe sich "völlig neue Möglichkeiten etwa für das Verständnis von Erdbeben". Eric Gerde und Michael Marder von der University of Texas simulierten etwa die Reibungsfläche zweier Erdplatten im Labor und untersuchten das Verhalten ihrer Moleküle während der gegenläufigen Bewegung. Zwischen den Platten gibt es molekulare Verbindungen, die bei den Bewegungen aufreißen, sich wieder schließen. Diese "selbstheilenden" Risse erklären womöglich ein Rätsel der Geologie, schreiben die Forscher in Nature: Erdbeben setzen Wärme frei, vor allem durch die Zertrümmerung von Gestein an den Plattenrändern. Messungen ergaben aber, dass viel weniger Wärme entsteht, als im Modell berechnet. Gerde und Marder glauben, dass die winzigen Risse die Messergebnisse erklären. Die Entstehung der Risse könnte Energie abbauen, sodass weniger Reibungswärme entsteht als vermutet. Eine andere Studie im Bereich der "Nano-Geowissenschaft" beleuchtet die Frühzeit der Erdgeschichte, als aus unbelebter Materie das Leben hervorging. Eine Arbeitsgruppe um Steven K. Lower untersuchte die Wechselwirkung von Bakterien mit Mineralen. Mineraloberflächen gelten als Ursprungsort von Nukleinsäuren und Proteinen, den Grundbausteinen des Lebens. Wie Lower in Science berichtet, erkennen Bakterien für sie nützliche Minerale, um sie gezielt auszubeuten. Die Geologen beobachteten das Bakterium "Shewanella", das sie in Kontakt mit Mineralen brachten, und stellten fest: Von einigen Mineralen wird das Bakterium abgestoßen, von anderen angezogen. Anziehendes Mineral Mittels Laser registrierten die Forscher nanometerkleine Bewegung eines winzigen Hebels, auf dem das Bakterium platziert war. Insbesondere von dem Mineral Goethit fühlte sich Shewanella angezogen. Einmal in Kontakt mit dem Mineral, stellte das Bakterium sogar seinen Stoffwechsel um. Es produzierte ein spezielles eisenhaltiges Protein. Die Forscher nehmen an, dass das Bakterium mit dem Protein seinen Stoffwechsel antreibt. Lower: "Das Protein transportiert Elektronen von der Körperzelle zum Mineral und setzt so einen Energiekreislauf in Gang." Anstatt also Sauerstoff zu verbrauchen, atmet es sozusagen Staub. Seine Studie belege laut Lower erstmals, dass Bakterien unbelebte Objekte wie Mineralienoberflächen erkennen und wie sie vor mehr als drei Milliarden Jahren auf einer nahezu unbelebten Erde Stoffwechsel betrieben. (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12./13. 10. 2002)