Schnarchattacke

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Nervöses Herumtänzeln im Ring, aber noch kein ernsthaftes öffentliches Kräftemessen: So präsentieren sich die politischen Gegner vor der Wahl - staatstragend, aber inhaltsleer. Zum ersten Mal seit langem spielt Jörg Haider (noch?) keine Rolle, und jetzt fällt plötzlich niemandem mehr ein ernsthaftes Wahlkampfthema ein. Außerdem folgen, immer wenn es spannend zu werden verspricht, die Dementis auf den Fuß. So trat beispielsweise der Wiener VP-Chef und Finanzstaatssekretär Alfred Finz in ein Minenfeld: Er forderte ein höheres Pensionsalter, worauf die SPÖ logischerweise "die Katze aus dem Sack" sah. Da musste die Generalsekretärin eiligst ausrücken, um die Dinge zu relativieren. Jetzt bloß keine Kanten zeigen! Ein Rückzieher erfolgte auch, als VP-Klubobmann Andreas Khol überraschend von einer Steuerreform schon ab 2003 sprach. Schließlich ist am kategorischen Nein der ÖVP dazu die Koalition zerbrochen. Weiters verwandelte Bildungsministerin Gehrer einen mutigen Vorschlag - Qualitätsvergleiche aller Schulen (jeweils in der vierten Schulstufe) - in eine zahnlose freiwillige Selbstkontrolle. Bei der FPÖ hat Gesundheitsstaatssekretär Waneck - allerdings nicht zum ersten Mal - eine Aussage zurückgezogen: dass man nämlich in den Städten höhere Krankenversicherungsbeiträge für bessere Infrastruktur zahlen sollte. Doch das verstößt gegen das alte Versprechen der Regierung, die Kassenbeiträge nicht zu erhöhen. Und die Opposition? Hü und Hott gibt es auch bei den Grünen, zuletzt in der Frage des Uni-Gesetzes. Die Partei ist überdies zur Unzeit in parteiinterne Debatten verstrickt. Bei der SPÖ wiederum täuscht das klotzige Containerdorf im Wiener Stadtzentrum über das Nervenflattern der Genossen hinweg. Meinungsumfragen signalisieren ein Kopf-an-Kopf-Rennen von SPÖ und ÖVP. Wobei sich Letztere wesentlich leichter tut, ihren Partei- und Regierungschef zum einzigen Programmpunkt zu erheben, ohne Energie an konkrete Inhalte zu verschwenden. Alfred Gusenbauer wurde zwar mittlerweile kanzlermäßig gestylt, doch ohne Rückendeckung durch starke, rote, regierungsfähige Persönlichkeiten wird es für ihn schwer. Er will Ambulanz- und Studiengebühr abschaffen. Außerdem sollen 25 Prozent der "Bürokratiekosten" eingespart werden. Also weniger Lehrer, Ärzte Polizisten, Finanzbeamte? Verwaltungskosten sind schließlich vor allem Personalkosten! Reaktion der anderen? Substanzloses Keppeln via Presseaussendung. Einkommen bis 1000 Euro will die SPÖ übrigens (wie die FPÖ) steuerfrei stellen. Darüber ließe sich auch mit den Grünen reden - und eventuell mit dem ÖVP- Arbeitnehmerbund. Weil aber das Schlagwort vom Nulldefizit bei den Österreichern so gut angekommen ist, bewegt man sich mit solchen Wahlversprechen auf einem schmalen Grat. Theoretisch gäbe es ja noch weitere Themen: Ein besonders heißes hätten die Abfangjäger werden können. Hier hat die Regierung aber geschickterweise die Luft ausgelassen. Die allgemeine Wehrpflicht (mit deren Verkürzung einst Bruno Kreisky punkten konnte) wäre ebenfalls spannend. Alle außer der ÖVP sind für die Abschaffung. Die Grünen haben sogar vorsichtig als Alternative einen Sozialdienst für alle angedacht. Seltsamerweise hat auch darauf niemand reagiert. Am Kindergeld hingegen wagen nicht einmal mehr die schärfsten Gegner zu rütteln. Die Pensionen will jeder sichern, eine Steuerreform ist sowieso nötig, und die Qualität im Gesundheitsbereich muss - bitte schön - gehalten werden. Logisch, im Wahlkampf versucht man, nur das Gute und Schöne zu versprechen. Lediglich Innenminister Ernst Strasser signalisiert mit seiner Asylpolitik, dass rechts von ihm derzeit kein Platz für etwaige Populisten wäre. Bleibt als bisher unterhaltsamste Debatte nur die (schulpolitische) Frage: Schummeln, ja oder nein? Das allerdings quält derzeit wohl auch die Wahlstrategen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.10.2002)