Literatur
"Feiertag der ungarischen Literatur"
Die Presse in Kertész' Heimatland glüht vor Stolz: "Inwieweit können wir diesen Preis als den unseren empfinden?"
Budapest - Literaturnobelpreisträger Imre Kertész ist das
Titelthema ungarischer Zeitungen am Freitag. Fotos zeigen die Freude
des 72-jährigen Budapester Schriftstellers. Die Freitagausgabe der
Tageszeitung "Nepszsabadsag" erinnert daran, dass Kertész der erste
Ungarn ist, dem diese hohe Ehre zuteil wurde. Zugleich werden Teile
der Begründung der Königlichen Schwedischen Akademie der
Wissenschaften zitiert: Nämlich, dass der Autor, der in den
vergangenen Jahren stets zum engeren Favoritenkreis gezählt wurde,
den Preis für "ein schriftstellerisches Werk erhielt, das die
zerbrechliche Erfahrung des Einzelnen gegenüber der barbarischen
Willkür der Geschichte behauptete". Der Kommentator des Blattes schreibt unter der Überschrift
"Durchbrochene Mauern", dass das Jahrhundert einen guten Start für
Ungarn genommen hätte. "Die Auszeichnung von Imre Kertész berechtigt
zu nationalem Stolz." Sie signalisiere nicht nur, dass die ungarische
Literatur in Europa eingetroffen sei, sondern sei auch ein Signal für
die Annäherung Ungarns an Europa.
"Wegweiser"
Den Literaturnobelpreis hätte kein Besserer erhalten können,
erklärt Peter Tordai, Vorsitzender des Verbandes der Ungarischen
Jüdischen Glaubensgemeinden, in der Tageszeitung "Magyar Nemzet". Die
hohe Auszeichnung sei zugleich ein Wegweiser dafür, dass auch in
Ungarn, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern, die Negierung
des Holocaust und das Schüren von Hass mittels eines Gesetzes
verurteilt werden müsse.
Unter den Gratulanten, die die ungarischen Medien zu Wort kommen
lassen, bringt der bekannte ungarische Schriftsteller György Konrad,
Präsident der Berliner Akademie der Künste, ebenso seine Freude über
die Auszeichnung zum Ausdruck wie der Schriftsteller Peter Nadas.
Letzterer konstatiert in "Magyar Hirlap", dass es die von Kertész
kreierte Sprache gewesen sei, die Anerkennung fand: Die Sprache
Kertész' sei aus europäischen Sätzen eines ungarischen
Schriftstellers gewebt. Danksagungen finden sich auch von ungarischen
Politikern: Ministerpräsident Peter Medgyessy dankt Kertész auch
dafür, dass er seiner Heimat zu solchem Ruhm verhalf.
"Eingesperrt in die ungarische Sprache"
Die Tageszeitung "Magyar Hirlap" schreibt weiter: "Nach 100 Jahren
erhielt der erste ungarische Schriftsteller den Literaturnobelpreis."
Der Kommentator des Blattes bekundet unter der Überschrift "Feiertag
der ungarischen Literatur" seine die ungetrübte Freude: Einen Tag,
nachdem die Europäische Kommission Ungarn als EU-reif bezeichnet
hätte, sei die frohe Botschaft aus Stockholm eingetroffen, dass die
"ungarische Literatur durch Imre Kertész einen Platz in der höchsten
Region der Weltliteratur erhielt". Schon lange habe Ungarn auf diesen
Augenblick gewartet, da es "zahlreiche Schriftsteller von Rang
besäße, die diesen Preis verdient hätten - und dennoch nicht
erhielten, da ihre Kunst eingesperrt war in die ungarische Sprache
und Kultur". Und zugleich stellt der Kommentator die Frage,
"inwieweit können wir diesen Preis als den unseren empfinden?". Die
"einfache Antwort" laute: In dem Maße, wie wir Imre Kertész und seine
Werke lieben. (APA)