Paris/Wien - Dem Stammbaum der Menschheit wachsen neue Wurzeln. In Georgien haben Wissenschafter Knochen eines Steinzeitmenschen entdeckt, der einer bisher völlig unbekannten Hominidenart angehört. Der Fund deute darauf hin, dass Europa und Asien früher von Menschen bevölkert wurden als bisher angenommen, schreiben die georgischen und französischen Forscher in einem Bericht der Französischen Akademie der Wissenschaften, der am Donnerstag erschien. Früher heißt in diesem Zusammenhang so um die 400.000 Jahre."Homo Georgicus", wie der neue Ahn des modernen Menschen nach dem Fundland benannt ist, wurde anhand eines Unterkieferknochens rekonstruiert, der in der Ausgrabungsstätte Dmanissi im Südwesten der georgischen Hauptstadt Tiflis entdeckt worden war. Er ist laut Forschern eine Zwischenform von drei bekannten Urahnen des modernen Menschen: Als Nachfahre von Homo habilis und Homo rudolfensi stelle er einen Übergang zum moderneren Homo ergaster her. Homo habilis und Homo rudolfensi waren in Tansania und Kenia entdeckt worden. Bisher ging man davon aus, dass erst ihr - vermeintlich direkter - Nachfahre Homo ergaster die so genannte Wiege der Menschheit in Afrika verlassen und den Rest der Welt erschlossen habe. Die in Georgien gefundenen Knochen sind rund 1,9 Millionen Jahre alt - der davor älteste Fund menschlicher Knochen außerhalb Afrikas in Israel wird auf 1,5 Millionen Jahre datiert. Georgicus ist anatomisch gesehen ein direkter Vorfahre Ergasters, muss aber wesentlich dümmer gewesen sein, dies belegen nicht nur die Ausformungen des Schädels, die auf ein viel kleineres Hirn schließen lassen. Die neuen Funde widerlegen auch die bisherige Meinung, dass die frühen Menschen Afrika erst nach der Entwicklung fortschrittlicher Steinwerkzeuge verlassen hätten. Zusammen mit den Knochen wurden nämlich mehr als 1000 Steinartefakte ausgegraben, die stark den primitiven, mehr als 2,4 Millionen Jahre alten afrikanischen Werkzeugen ähneln. Vermutlich waren es ökologische Gründe, die den Menschen zur Auswanderung aus Afrika zwangen. Wegen zunehmender Körpergröße stieg sein Energiebedarf. Zur Erschließung neuer Nahrungsquellen musste er nach Asien und Europa. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 10. 2002)