Welt
Kurt Wüthrich: Begnadeter Forscher und schwieriger Mensch
Grazer Biochemiker: "Preis war fällig"
Zürich - Der Schweizer Biophysiker Kurt Wüthrich (64)
gilt unter Kollegen als hervorragender Wissenschafter, aber
menschlich nicht ganz einfach. "Wüthrich kann recht barsch und grob
sein, wenn ihm was nicht passt", beschreibt Prof. Wolfgang
Baumeister, einer der Direktoren am Max-Planck-Institut für Biochemie
in Martinsried, seinen Kollegen. "Aber wenn man ihn gut kennt, kann
man gut mit ihm klarkommen." In den vergangenen Jahren befasste er sich unter anderem mit der
Analyse von Prionen-Krankheiten wie BSE und Creutzfeldt-Jakob. "Er
war an der Aufklärung der Struktur des Prion-Proteins maßgeblich
beteiligt", erklärt Baumeister. Im Dezember 2000 machte Wüthrich von
sich reden, als er darauf verwies, dass die chemische Struktur der
Prionen-Proteine von Mensch, Rind und Schwein sehr ähnlich sind.
Unvermindert aktiv
Seit 1969 ist Wüthrich an der Eidgenössischen Technischen
Hochschule (ETH) Zürich tätig und forscht seit einiger Zeit auch am
Scripps Research Institute in La Jolla (US-Bundesstaat Kalifornien).
Das wissenschaftliche Interesse des 64-Jährigen galt und gilt der
Struktur von Proteinen und Nukleinsäuren. "Er ist nach wie vor
unvermindert aktiv", sagt Baumeister. Spezialgebiet Wüthrichs ist die
Anwendung der so genannten Kernresonanz-Spektroskopie bei der
Aufklärung der Struktur von biologischen Makromolekülen.
"Er gilt international als Pionier dieser Analysemethode bei
biologischen Makromolekülen", betont Baumeister. Der Nobelpreis sei
für diese Leistung "überfällig" gewesen. "Die
Kernresonanzspektroskopie von biologischen Molekülen ist eine der
drei Säulen der Strukturbiologie"
Preis war fällig
Als "längst fällig" bezeichnete der Grazer
Biochemiker Andreas Kungl vom Grazer Institut für Pharmazeutische
Chemie die Vergabe des Chemie-Nobelpreises 2002 an den Schweizer
Molekularchemiker Kurt Wüthrich. "Vor elf Jahren, als sein Zürcher
Kollege Richard R. Ernst für die Entwicklung der Kernmagnetischen
Resonanz (NMR) mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ist Wüthrich
ja leider noch leer ausgegangen", so der Grazer Forscher, der
Wüthrich 1999 schon zu einer Tagung nach Wien geholt hat.
Die Forscherleistung Wüthrichs baue auf den Grundlagen von Richard
E. Ernst auf und habe sie wesentlich weiterentwickelt, so dass heute
vor allem auch große biologische Moleküle "und noch dazu in Lösung,
sprich im Zellen" analysiert werden können, so Kungl. "Damit hat
Wüthrich die NMR revolutioniert", ist sich der Grazer Biochemiker
sicher.
"Seine Methode nicht mehr wegzudenken"
Kungl verwies auch darauf, dass Wüthrichs Forscherteam entdeckte,
dass die räumliche Molekülstruktur des gesunden Rinder-Prionproteins
mit der des menschlichen Prion-Proteins fast identisch sind. Diese
Ähnlichkeit begünstige die Überwindung der Artenbarriere für eine
Prionenübertragung vom Rind auf den Menschen. "Er ist immer ganz
vorne bei den aktuellen Fragestellungen dabei", so Kungl.
"Den Preis hat Wüthrich sicher verdient", so auch der Vorstand
des Institute für Pharmazeutische Chemie der Uni Graz, Ernst
Haslinger. Wüthrichs Methoden seien "im heutigen Forschungsalltag
nicht mehr wegzudenken". "Sämtliche Moleküle von kleinen für
Arzneistoffe bis hin zu Proteinen, Enzymen bis hin zu den für die
Vererbung wichtigen Proteinsäuren" könnten damit analysiert werden,
so Haslinger. In Graz selbst habe man eines der größten Spektrometer
in Österreich, zeigte sich der Chemiker stolz. "Wir selbst führen auf
diese Weise Stoffwechseluntersuchungen am Menschen durch", so
Haslinger. Im speziellen können die Grazer Forscher damit nachweisen,
worauf genau ein erhöhter Glucosespiegel im Blut zurückzuführen ist. (APA/dpa)