München - Der Bertelsmann Verlag hat während der NS-Zeit "indirekt jüdische Zwangsarbeiter" beschäftigt. Zu diesem Ergebnis kommt die Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Bertelsmann-Geschichte in der NS-Zeit, die am Montag in München ihren Abschlussbericht vorlegte. In mehreren Druckereien in Wilna (Litauen), die für Bertelsmann arbeiteten, seien zwischen 1941 und 1943 Juden aus dem örtlichen Getto eingesetzt worden. In Gütersloh waren einige niederländische "Zivilarbeiter" beschäftigt. Die Unabhängige Kommission unter Vorsitz des israelischen Historikers Saul Friedländer betonte, dass auf Grund der schlechten Quellenlage nicht geklärt werden könne, ob "Bertelsmann irgendeinen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in diesen Druckereien hatte und ob die Auftragsverlagerung ins Baltikum wegen des dortigen Einsatzes billiger (jüdischer) Zwangsarbeiter womöglich Kosten sparte", heißt es in dem Bericht. Die niederländischen Arbeitskräfte am Bertelsmann-Hauptsitz in Gütersloh seien "weitaus besser behandelt" worden als Zwangsarbeiter aus Ostdeutschland. Mindestens neun so genannte "Zivilarbeiter" seien dort beschäftigt gewesen. Bertelsmann akzeptiert Bericht Ein Sprecher der Bertelsmann AG sagte, man akzeptiere den Bericht der unabhängigen Kommission "als Ganzes". Er wies darauf hin, dass der Verlag im März 2000 dem Entschädigungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter beigetreten sei, "unabhängig von der eigenen Unternehmensgeschichte". Der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann AG, Gunter Thielen, räumte in München Versäumnisse im Umgang mit der Unternehmensgeschichte ein. Thielen bedauerte, dass "wir mit unserem historischen Erbe nicht sorgfältig umgegangen sind". Der Bertelsmann Verlag war nach Erkenntnissen der Experten in der NS-Zeit der größte Buchproduzent für die Wehrmacht. Mit 19 Millionen Exemplaren lag der Konzern weit vor dem "Eher"-Zentralverlag der NSDAP und stellte ein Viertel aller Bücher und Broschüren für die Front her. Distanz zum Regime nicht eingehalten Obwohl sich der damalige Verlagschef Heinrich Mohn der "Bekennenden Kirche" anschloss, die gegen die NS-Kirchenpolitik opponierte, habe der Verlag "keine Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus" gewahrt, urteilen die Historiker. Und weiter: "Eher im Gegenteil bildete sich bei Bertelsmann eine politische Theologie heraus, die dem Nationalsozialismus tendenziell zuarbeitete." Der damalige Konzernchef Mohn sei der NSDAP zwar nie beigetreten, gehörte aber zu den "Fördernden Mitgliedern der SS". Dies signalisiere die Bereitschaft zu "politischem Arrangement", urteilte die Kommission. Die Historiker kommen außerdem zu dem Schluss, dass "die Legende, Bertelsmann sei als Widerstandsverlag geschlossen worden", nicht aufrechterhalten werden könne. Vielmehr habe 1944 ein Gerichtsverfahren wegen illegaler Beschaffung von Papier zu der Schließung des Unternehmens beigetragen. Bertelsmann ist nach eigenen Angaben das erste deutsche Medienunternehmen, das seine Archive für die Geschichtswissenschaft öffnete. Die Experten-Kommission hatte im Jänner 1999 die Arbeit aufgenommen, nachdem dem Verlag vorgeworfen worden war, die eigene Geschichte zu beschönigen. (APA/dpa)