Giftpillen, Goldene Aktien, gläserne Gesellschaften. Der neue Vorschlag der EU-Kommission für ein EU-einheitliches Recht der Unternehmensübernahmen böte Stoff für einen Wirtschaftskrimi. Ein Politkrimi jedenfalls war das Scheitern des letzten Entwurfs im vergangenen Jahr: Nach zwölf Jahren Hin und Her zwischen Kommission, Ministerrat, Mitgliedstaaten und Europäischem Parlament lehnten ihn die EU-Abgeordneten endgültig ab. Minderheitsaktionäre schützen und eigenmächtige Vorstände an die Kandare nehmen soll der neue Entwurf zur Regelung transnationaler Übernahmen. Daher geht es zum einen darum, den umworbenen Aktieninhabern gerechte Konditionen zu sichern. Zum anderen sollen die Firmenführer nicht freie Hand haben, wenn sie Übernahmeinteressenten mit gezielten Maßnahmen - den Giftpillen - abschrecken wollen. Mindestschutz Inhalt des EU-weit gleichwertigen Mindestschutzes ist, dass der Bieter im Fall eines Kontrollwechsels ein Angebot für sämtliche Wertpapiere der Zielgesellschaft machen muss. Allen Aktieninhabern ist dabei ein angemessener Preis zu zahlen. Diese Gegenleistung muss sich ohne weiteres verwerten lassen, sie muss also in liquiden Wertpapieren bestehen, die auf einem geregelten Markt gehandelt werden - oder eben in Geld. Soweit der Übernehmer die Kontrolle an dem Unternehmen erlangt hat, muss er den Minderheitsaktionären offerieren, auch ihre Aktien zu kaufen. Für dieses "Pflichtangebot" legt der Entwurf einen Preisrahmen fest: Es soll in der Regel dem höchsten Preis entsprechen, den der Bieter für die betreffenden Wertpapiere sechs bis zwölf Monate vor dem Angebot gezahlt hat. Der Erwerber kann sich auch widerspenstiger Minderheitsaktionäre entledigen: Hält er erst 90 Prozent des Kapitals, kann er von den Übrigen den Verkauf ihrer Anteile verlangen. Diesem "Ausschlussrecht" steht für die Minderheitseigner ein "Andienungsrecht" gegenüber: Wenn sie kein Interesse mehr an einer Gesellschaft haben, die zu 90 Prozent jemand anderem gehört, können sie den Neueigentümer zum Kauf ihrer Anteile zwingen. Gebremster Vorstand Bei so genannten "feindlichen Übernahmen" - also solchen, die der Unternehmensführung des Kandidaten missfallen - versucht der Vorstand oft, den Eigentümerwechsel zu verhindern. Das ist nicht immer im Interesse der Anteilseigner. Daher verlangt der Richtlinienentwurf, dass sich der Vorstand Abwehrmaßnahmen von der Hauptversammlung erst nach dem konkreten Übernahmeangebot genehmigen lassen kann. Vorratsbeschlüsse reichen nicht. Wenn schon in der Struktur des Unternehmens Übernahmehindernisse - zum Beispiel Stimmrechtsbeschränkungen oder Mehrfachstimmrechte - angelegt sind, muss das im Jahresbericht deutlich gemacht werden. Für den Interessenten wird das Unternehmen damit zu einer fast gläsernen Gesellschaft. An gesetzliche Stimmrechtsregelungen selbst (zum Beispiel Goldene Aktien), traut sich der neue Entwurf aber nicht heran. (Jörg Wojahn, DER STANDARD, Printausgabe 8.10.2002)