Der US-Krieg gegen Saddam Hussein kommt - allen diplomatischen Manövern zum Trotz - sicher. Davon gehen die meisten Beobachter inzwischen aus. Doch über die Kriegsgründe gehen die Meinungen auseinander.

Viele Europäer sind überzeugt, dass George W. Bush den Irak aus wahltaktischen Gründen, als Dankeschön an die Rüstungsindustrie oder billigen Öls wegen angreifen wird. Keines dieser Argumente macht Sinn. Die Kongresswahlen im November sind nicht wichtig genug, um ihretwegen ein solches Risiko einzugehen - und das Beispiel von Bush senior zeigt ja, wie wenig militärische Siege an der Urne nützen.

Rüstungskonzerne verdienen weit mehr an der Neuentwicklung komplexer Waffensysteme in Friedenszeiten als an deren Einsatz. Der 11. September ließ das Verteidigungsbudget hochschnellen, ein Irak-Feldzug wird kaum noch benötigt. Im Gegenteil: Krieg treibt die militärischen Personalkosten hoch und lässt weniger Geld für profitable neue Aufträge.

Auch Öl ist kein überzeugendes Kriegsmotiv - genauso wenig wie im letzten Golfkrieg. Die USA waren in den vergangenen Jahren Hauptabnehmer irakischen Öls, und auch ein neues, freundlich gestimmtes Regime in Bagdad würde sein Öl nicht unter Weltmarktpreisen verkaufen.

Warum also den Irak angreifen? Politiker in Washington und London - vor allem Tony Blair - sprechen unentwegt von der Gefahr, die von Saddams Massenvernichtungswaffen ausgeht. Das klingt überzeugend: Wer will schon einen notorischen Massenmörder die Möglichkeit lassen, chemische und biologische Waffen gegen die zivilisierte Welt einzusetzen? Aber der Irak besitzt solche Waffen schon seit Jahren. Ihr Einsatz wurde durch UNO-Waffeninspektionen, Flugverbotszonen und ständige militärische Drohungen abgeschreckt.

Saddam ist ein eiskalter Machtmensch, aber kein irrsinniger Selbstmörder. Gegen ihn kann eine Politik der Eindämmung (Containment) wie einst gegen die Sowjetunion mit hoher Wahrscheinlichkeit funktionieren. Das spricht für neuerliche Inspektionen, aber nicht für Krieg. Halt, sagen viele Amerikaner, der Terror des 11. September hat alles verändert. Seither wollen die USA selbst ein geringes Restrisiko nicht hinnehmen. Der Irak sei heute wie Afghanistan - ein Land, in dem Amerikas Todfeinde ungestört neue Terrorangriffe vorbereiten können. Theoretisch ja, aber die von Washington behauptete Achse Irak-Al-Qa'ida wurde bisher kaum belegt. Als Sponsor und Rückzugsgebiet für islamistische Terroristen sind mittelfristig Iran, Saudi-Arabien und Jemen gefährlicher als der zutiefst säkulare Irak. Genau darin liegt die wohl beste Erklärung für die amerikanischen Kriegspläne.

Seit dem 11. September betrachten die USA die gesamte islamische Welt - einschließlich des fundamentalistischen Saudi-Arabien - als eine Gefahrenquelle. In dieser Situation sieht es Washington nicht ein, warum das höchstentwickelte Land der Region mit einer gebildeten, westlich orientierten Elite (und gewaltigen Erdölreserven) nicht zu Amerikas Verbündeten zählen soll.

Ein moderates Regime in Bagdad, so lautet Washingtons Kalkül, könnte den Vormarsch der radikalen Kräfte in der Region stoppen und die auch für Europa und den Fernen Osten lebenswichtige Ölversorgung absichern - vielleicht sogar die Pragmatiker im palästinensischen Lager stärken und damit den für die US-Außenpolitik so unangenehmen Nahostkonflikt entschärfen.

Sollte all das gelingen, wäre ein kurzer Militärschlag zum Sturz von Saddam Hussein wohl gerechtfertigt. Aber bei einer solchen proaktiven, offensiven Sicherheitspolitik ist die Toleranz für Fehlschläge weit geringer als in einem echten Überlebenskampf. Fordert der Krieg viele zivile Opfer oder mündet er in einer neuen Spirale der Gewalt in der Region, würden die Kriegsgegner im Nachhinein Recht bekommen. Die Bush-Regierung muss sich ihrer Sache militärisch und politisch schon sehr sicher sein, um sich auf dieses Wagnis einzulassen.(DER STANDARD, Printausgabe, 7.10.2002)