Space Economy - Wenn Wirtschaft auf den Raum vergisst
Oder: Woran die "New Economy" unter anderem verstarb.... Von Christian Eigner
Redaktion
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“AUTSCH!”
Ich spüre fast, wie Ihr ganzer Leib Widerstand zu leisten beginnt, wenn
Sie das Wort “New Economy” nur hören.
“Das ist doch vorbei...Wozu noch?...Nicht schon wieder...Gott, wie
langweilig...”
Ein eigenartiger Druck entsteht in der Magengrube, ein Stressgefühl
kommt auf, und würde man den Hautwiderstand messen, wäre er
sicherlich erhöht – wie es eben ist, wenn sich der Neuwert einer Sache
verbraucht hat und man sich trotzdem mit ihr befassen muss.
Aber geht es immer nur um den Neuwert?
Es ist schon richtig: Wir leben in Zeiten, in denen originäre Ideen
immens wichtig sind und ihren Schöpfern wirtschaftliche Vorteile verschaffen
(können); im ganz normalen Firmenalltag ebenso wie an den
Universitäten, im Kunst-Betrieb oder in der Kleintischlerei am Land.
Aber ist es deshalb gleich notwendig, gar nicht mehr zurückzuschau -
en ? Vergessen wir dabei nicht, dass wir zwar nur einen Magen haben,
intellektuell aber sehr wohl Wiederkäuer sind?
Gerade die “New Economy” gehört zu jenen Brocken, die wir noch
überhaupt nicht verdaut haben: Was genau ist passiert? War das nur eine
groß angelegte und vom Kapitalmarkt geduldete Party, oder waren auch
Strategien und Logiken im Spiel, die weit über die “Neue Ökonomie”
hinaus für die Wirtschaft wichtig sind? Ist das Scheitern der “DotComs”
deshalb nicht auch ein Indiz dafür, dass wir einige gravierende Mängel
im System haben, die wir aber konsequent ausblenden? Stellt das
Desaster “New Economy” folglich nicht mehr in Frage als bloß die
Kompetenz tausender “Jungunternehmer” und einiger leichtfertiger
Investoren?
In Wirklichkeit haben wir erst in Ansätzen begriffen, was die “Neue
Ökonomie” bei ihrem Aufschlag zerstört hat. Billionen von EUROS, klar.
Und viele Illusionen; inklusive der eines “weichen Kapitalismus”, in dem
Menschen und deren Kreativität im Mittelpunkt stehen. Aber das
Ausmaß der Zerstörung ist noch viel größer, wie sich zeigt, wenn man
sich erst auf die Spurensuche und das Ergründen der Ursachen eingelassen
hat:Keine Frage, echte Misswirtschaft spielte bei diesem kapitalen Absturz
ebenso eine Rolle wie Business Modelle, die diesen Namen nicht verdienen.
Und freilich waren da noch all diese kruden Ideen von neuen
Business-Regeln, die zu einem guten Teil der so genannten “NetzwerkÖkonomie”
entliehen worden waren und einfach nicht funktionieren
konnten (“Denk daran, dass ein Fax sinnlos ist, Millionen Fax-Geräte
aber extrem wertvoll sind; schenk deshalb dein Produkt anfangs her und
warte darauf, dass es so wichtig wie das Fax geworden ist”. Dumm nur, dass die meisten Produkte nie so wichtig wie das Fax werden – ohne
deswegen aber wirtschaftlich uninteressant zu sein...).
ALLERDINGS: Es waren nicht nur interne Faktoren, die die “New
Economy” gleich schnell sterben wie entstehen ließen. Am Desaster war
auch die ganz reale Ökonomie beteiligt; das “echte” Business mit seinen
seit Jahrzehnten eingespielten und erprobten Vorstellungen davon, wie
Wirtschaft aussieht.
Denn zu diesen Vorstellungen gehört auch, dass man eigentlich keine
Vorstellung davon hat, wo Business passiert: Business spielt sich einfach
nur ab, irgendwo in einem nicht genauer definierten Vakuum, in dem
bestenfalls Distanzen existieren, die als Tr a n s p o r t- und
Transaktionskosten ausgedrückt werden. Business ist also irgendwie
“raum-los” , schwebend, was mehr als nur seltsam erscheint, wenn man
bedenkt, dass Leben letztlich immer auch Raum-(Er)Leben ist. Allein
von dem her wäre es nahe liegend, Business als ein Geschehen zu
betrachten und zu leben, das sich im Raum entfaltet und anwächst, vom
Raum Grenzen gesetzt und raumimmanente Dynamiken aufgezwungen
bekommt. Doch nichts davon scheint der Fall zu sein; in der Wirtschaft
wird der Raum nicht mitgedacht.
Und genau das ist der “Neuen Ökonomie” zum Verhängnis geworden:
Diese Raum-Ignoranz, die unter anderem dazu verführen kann, die
Welt als einen riesigen Marktplatz zu betrachten; als eine riesige
Ansammlung von Punkten und kleinen Flächen, auf denen man sich
nach Belieben aufstellen kann, um sein Produkt oder seine
Dienstleistung zu verkaufen. Auch an solchen Fantasien ist die “Neue
Ökonomie” gescheitert – was logischerweise mehr in Frage stellt als
bloß einige Akteure und Strategien der “New Economy”....
“MOMENT! Stop!”
Zugegeben, das ging jetzt rasch und überfallsartig. Und wirft mehr
Fragen auf als beantwortet werden: “Bitte nochmals und etwas exakter”, höre ich Sie deshalb sagen: “Was genau ist mit ‚Raum-Ignoranz’ gemeint? Wozu führt sie, und
warum ist das Ergebnis fatal? Warum ist es schlecht, sich die Welt
als einen Marktplatz vorzustellen, auf dem man sich platziert, wie
man will? Und wieso sind riesige Ansammlungen von Flächen
keine Räume? Wird zudem in der Wirtschaft nicht ungemein viel
über ‚Raum’ geredet; etwa in all den Standort- und
Globalisierungs-Diskussionen? Ja – ist es nicht überhaupt an den
Haaren herbeigezogen, die ‚New Economy’ mit irgendwelchen
fehlenden Raum-Vorstellungen in Verbindung zu bringen? Noch
dazu, wenn man bedenkt, wie wunderbar einfach sich Aufstieg
und Fall der ‚New Economy’ erklären lassen, sobald man eine systemische
Perspektive einnimmt:
Die “Neue Ökonomie” wurde vom System, das Kapitalmarkt und
Unternehmen bilden, selbst produziert, um die Spreu vom Weizen
zu trennen. Hunderttausende Testballons wurden in Form von
Start-ups finanziert und losgeschickt, um zu ergründen, was der
Telekommunikations- und Internet-Sektor an möglichen
Geschäftsfeldern zu bieten hat. In einem riesigen, aber nie in
u n k o n t rolliertem Ausmaß Geld vernichtenden Tr i a l & e r ro r-
P rozess hoffte man, die “Stahl- und Auto-Industrie des 21.
J a h rhunderts” zu finden, wie es ein “New Economy”-
Kommentator einmal formuliert hatte. Gleichzeitig brachte man
auf diese Weise einen neuen Investitionszyklus in Gang, was
wahrscheinlich noch wichtiger als das Ausloten zukünftiger
Business-Segmente war. Schließlich kamen durch das Investment
in Netz- und Telekommunikationstechnologien die Finanzmärkte
in Schwung – und damit das Herzstück der zeitgenössischen
Wirtschaft, hat die Finanzwirtschaft doch der so genannten
Realwirtschaft längst den Rang abgelaufen. Nachdem die Startups
ihre Mission erfüllt hatten – einige neue Geschäftsfelder wurden
erschlossen (z.B. “e-procurement”), einige zukünftige “Big
Player” geboren (etwa “Amazon”, “AOL Time Warner” oder
“Yahoo!”) – und an den Börsen beinahe ein halbes Jahrzehnt lang
mit “New Economy”-Titeln hervorragende Geschäfte gemacht
worden waren, kam diese System-Bewegung zur Förderung der
eigenen Weiterentwicklung ganz von selbst wieder zum Stillstand.
Und der inneren Logik des Systems entsprechend, gab es wie
immer nur wenige Gewinner und Unmengen Verlierer – ganz so
wie bei anderen, historischen Trial&error-Prozessen dieser Art;
etwa bei der Entstehung des Auto-Marktes.
Bringt es das nicht auf den Punkt?”
Zweifellos – eine überzeugende Argumentation. Sie übersieht jedoch,
dass das Massensterben der “DotComs”, das man in den vergangenen
zweieinhalb Jahren beobachten konnte, mehr als nur die übliche
Konsolidierung einer Branche war. Viele Firmen begannen schon zu
kränkeln, bevor noch irgendwelche Konsolidierungen anstanden; der
“reverse auction”-Betreiber “Priceline” beispielsweise, der nach sensationellen
wirtschaftlichen Erfolgen mit der kundenanbotsbasierenden
Versteigerung von Flugtickets (“Welche Airline bietet mir ein Ticket von
New York nach LA um weniger als 200 Dollar?”) vor mehr als einem Jahr
haarscharf am Konkurs vorbeischlitterte, trotz eines überzeugenden und
auch funktionierenden Business Models. Was “Priceline” fast in den Ruin
trieb, war die Art und Weise, wie das Unternehmen wuchs, das heißt,
wie es mit Raum umging. Blitzschnell wollte es die ganze Welt und, was
sich bei einem solchen Vorhaben dann gleich miteinschleicht, alle mög -
lichen Branchen zum Feld seiner Aktivitäten machen – mit besagten gravierenden
Folgen. “Raum-Ignoranz” eben...
Und weil sich Ähnliches bei unzähligen anderen “DotComs” beobachten
lässt, ist es gar nicht an den Haaren herbeigezogen, die “Neue Ökonomie”
und deren Scheitern mit einem “Raum-Problem” in Verbindung zu
bringen, das die Ökonomie offensichtlich ganz generell hat.
Was aber auch bedeutet, dass ich Ihnen einige Präzisierungen und
Vertiefungen schulde. Schauen wir es uns deshalb die ganze Sache noch
einmal und etwas ausführlicher an:
Die “New Economy” und der Raum
Erinnern Sie sich noch an die erste E-Commerce-Welle im Jahr 1999?
Was man sich vom Internet ganz speziell erwartete, war die Überwindung
sämtlicher Grenzen. Das Netz sollte es gleichgültig machen, ob
man in der Oststeiermark, im Großraum München oder in der BayArea
lebte – über den Web Shop, so sagte man, könnte man die ganze Welt
bedienen.
Dass es eher schwierig werden würde, dem ausschließlich Mandarin
sprechenden Kunden etwas zu verkaufen, wurde dabei vorsichtshalber
gleich einmal außer Acht gelassen; aber nicht nur das: Ausgeblendet
wurde auch, dass man mit dieser Vision die Welt wieder zur Scheibe
machte.
Denn wo man meint, die ganze Erde bedienen zu können, sind
Flächenfantasien an der Arbeit: Die Welt wird hier als Forum, als
Standfläche vorgestellt, die wiederum aus einzelnen Stellflächen oder
Punkten besteht. Jeder ist auf einem solchen Punkt zu Hause, von dem
aus er – wie auf einem Fischmarkt – allen das zuwirft, was sie beim ihm
gerade bestellt haben. Natürlich sieht man nicht immer jeden und wird
auch nicht immer gesehen, aber prinzipiell ist es ein großer Platz , auf
dem sich alle befinden – und auf dem man sich auch wie auf einem großen
Platz verhält: Sich positionieren, auf sich aufmerksam machen, notfalls
weitergehen und sich eine andere Stelle suchen – das Bewegenauf der Fläche bestimmt das Leben und Verhalten; soweit die Fläche reicht,
reicht auch die Welt.
Vielleicht sollte man noch hinzufügen, dass es ganz konkret ein Platz an
einem Sonntag Nachmittag ist, den die E-Commerce-Visionäre im
Hinterkopf hatten. Oder noch konkreter: Ein Platz an einem Sonntag
Nachmittag , auf dem nur flanierende Individualisten und Kleingruppen
unterwegs sind. Denn es ist eine seltsam atomisierte Gesellschaft, auf die
man auf der Welten-Fläche trifft; wie Elementarteilchen besetzen die einzelnen
Protagonisten Orte, von denen sie irgendwelche Aktivitäten ausführen,
bis sie dann plötzlich zu einem anderen Punkt weiterspringen.
Es ist also eine unräumliche Welt, die einem im E-Commerce und
damit in der “New Economy” begegnet – außer man versteht den
“Raum”-Begriff auf hochabstrakte Weise: “Raum” – ich halte mich hier
kurz, weil wir das alles später noch viel genauer diskutieren werden –
bedeutet dann nur so viel wie “Räumlichkeit”, das heißt der Begriff will
einfach darauf hinweisen, dass es ein Oben, ein Unten, ein Links, ein
Rechts, ein Vo rne und ein Hinten gibt. Er meint so viel wie
“Ausdehnung” und weckt die Assoziation einer Blase oder einer
Schachtel , wie es die Raumsoziologin Martina Löw nennt, in der sich
alles abspielt und in der alles liegt; inklusive dem Platz, auf dem sich
Menschen bewegen, die Elementarteilchen gleichen. In diesem Sinn ist
die Welt der “New Economy” durchaus räumlich.
Allerdings meinen wir meist etwas anderes als diese “Schachtel”, wenn
wir den “Raum”-Begriff benutzen: Wer davon erzählt, dass er im “Raum London” zu Hause ist, weckt in der Regel bei seinem Zuhörer nicht nur geografische Assoziationen. “Raum”
steht hier auch für “Lebensraum”; meint bestimmte Lebensformen und
Lebenszusammenhänge, die mit diesen “Um-Raum” von London verbunden
sind.
Ja, sie sind nicht nur mit ihm verbunden – sie machen ihn sogar erst aus,
erzeugen ihn. Es ist eine soziale, auf vielfältige Weise mit der Geografie
verbundene Welt, die wir im Sinn haben, wenn wir vom “Raum London”
sprechen. Eine Welt, die wir nicht als neutrale “Schachtel” oder “Blase”
mit einer riesigen Grundfläche erleben, sondern als einen einhüllen -
den Ozean , in dem es Wellen, Strömungen, Riffe, Fischschwärme,
Untiefen und vieles mehr gibt, mit denen wir schwimmend zu Rande
kommen müssen. “Raum” beschreibt sozusagen ein “Mitten-drin-Sein” in
einer Lebenswelt, die man a u s g e d e h n t e rfährt, die wächst und
schrumpft, aber stets ein Kontinuum bleibt, das man nur im “Mit-Leben”
erfassen, begreifen und mitentfalten kann.
“Raum” inkludiert deshalb stets auch eine spezifische Form von
“Widerstand”, einen “Raum-Widerstand”, auf den wir in diesem “Mittendrin-
Sein” - etwa in Form von Untiefen und Strömungen - stoßen und
der sich n i c h t u m g e h e n, sondern nur durch Erfahrung und
Geschicklichkeit meistern lässt. Weshalb zum Raum immer die Zeit
gehört, die man sich nehmen muss, wenn man im Raum Fuß fassen will.
In diesem Sinne gab es im E-Commerce und in der “New Economy” definitiv keinen Raum. Flächen und Punkte waren an seine Stelle
getreten; die Probleme und Widerstände, die Raum bereiten kann,
waren kein Thema. Und auch die Zeit nicht. Die Business-Entwicklungs-
Vorstellungen der “DotComs” belegen das sehr deutlich:
An einem Punkt – etwa in Wien – starten, und dann möglichst rasch eine
Niederlassung in Hamburg oder New York haben – so stellte man sich
den Werdegang eines Start-ups vor. Entwicklung bedeutete nicht, sich
einmal in einem “Lebensraum” einzunisten , sich Zeit zu nehmen, wie es
allein schon die Schwierigkeiten, die einem das “Schwimmen” an einem
Ort normalerweise bereitet, nahe legen (und was jeder professionelle
Autohändler in der Regel tut). Stattdessen hieß Entwicklung, von einem
Punkt zum anderen weiterzuspringen; an singulären Punkten präsent
zu werden, um dort das nächste Geschäft zu starten; so als ob es nur
um das Einschalten eines fertigen Motors ginge, den man an dem
gewählten Ort abstellen muss. Entwicklung (im Raum) war durch punktuelle
Platzierung ersetzt worden.
“Ja und?!”
Ich ahnte schon, dass diese Frage jeden Moment kommen würde....
“Ist das nicht die normalste Sache der Welt? Gehen nicht alle
Firmen, die transnational operieren, so vor?...Das ist moderne
Standort-Politik!...Die Welt als Marktplatz,...als PLATZ, ja!”
Sie haben völlig Recht.
Große Konzerne agieren schon seit Jahrzehnten auf diese Weise. Für sie
ist die Welt ein Spielplatz, ein Geflecht von Punkten, die man als
Standorte bezeichnet, die in Wirklichkeit aber keine Verortungen sind,
sondern aufgepfropfte Singularitäten, die nicht in ihr Umland einwachsen.
Raum scheint hier nicht die geringste Rolle zu spielen – nicht
umsonst sagte ich ja, dass die “Raum-Ignoranz” ein Problem der gesamten Ökonomie ist....
“Ja ist sie das aber wirklich? Ich meine herauszuhören, dass
Business irgendetwas mit der Teilhabe an und der Entfaltung von
Räumen zu tun hat und dementsprechend diese so genannte ‚Raum-Ignoranz’ irgendwie fatal ist. Warum geht es dann aber Firmen wie ‚CocaCola’ oder ‚Siemens’ mit ihrer ‚Raum-Ignoranz’
offensichtlich ganz gut? Wieso macht diesen das Denken in
Plätzen und Standorten und Punkten nichts aus? Denn dass diese
Unternehmen dieser Logik folgen, ist wohl nicht zu bestreiten!”
Ein berechtigte Frage.
Lesen Sie nächste Woche, am Montag, den zweiten Teil der Serie "Space Economy":
"Ein Welt-System namens Kapitalismus"
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