München - Das Versagen des Kreml, Feinde im Westen und Verräter in den eigenen Reihen haben nach Auffassung des früheren DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker zum Untergang des zweiten deutschen Staates geführt. Dies geht nach Angaben des Historikers Michael Lemke aus Briefen Honeckers hervor, die dieser unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung verfasste. Die Briefe ließen Honecker und seine Frau Margot gemeinsam mit weiteren Dokumenten und Fotos in zwei Koffern in Berlin zurück, als sie 1991 nach Moskau flohen. Die Gepäckstücke sind im Besitz des Münchner Magazins "Focus", in dessen Auftrag Lemke vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) das Material untersucht hat. Kein Fall wie die "Hitler-Tagebücher" "Es besteht kein Zweifel", sagte Lemke am Sonntag, "das Material ist echt. Es gibt keine Manipulationen oder Fälschungen per Hand wie seinerzeit bei den Hitler-Tagebüchern." Die Dokumente erlaubten ausgezeichnete Einblicke in die historischen Prozesse unmittelbar nach der Wende und vor allem in die Befindlichkeiten der Honeckers. Geldmengen seien nicht angesprochen worden. Aber: "Die Honeckers hatten durchaus Schwierigkeiten mit Geld", sagte der Historiker weiter. So werde deutlich, wie die Honeckers gedacht hätten und wie sie sowie andere Führungspersönlichkeiten des gestürzten Regimes versucht hätten, sich in der neuen gesellschaftlichen Situation zurecht zu finden. Honecker sei überzeugt gewesen, dass die Ostdeutschen entrechtet, entwürdigt und beherrscht würden von den Kapitalisten aus dem Westen. Entsprechend habe er sich in den Briefen geäußert. Hoch interessant sei vor allem, dass Honecker Moskau beschuldigte, ihn zu Fall gebracht zu haben. Lemke forderte, das Material und die Erkenntnisse daraus der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. "Es muss gezeigt werden: Wie haben die nach der Wende gelebt, welche Überlebensstrategie haben sie mit ihren alten Denktraditionen entwickelt?" Klar sei aber schon jetzt: "Honecker war ein Durchschnittsmensch. Er war überfordert. Er war der Statthalter einer Diktatur." Zwei Koffer in Medienhand Erich Honecker hat nach Informationen des "Focus" auch nach seiner Flucht nach Moskau geheime Gelder ins Ausland gebracht. Das gehe aus Briefen hervor, die Honecker und seine Frau Margot aus dem Exil an Verwandte geschrieben hätten, berichtete das Nachrichtenmagazin am Sonntag. Die Briefe seien in zwei Koffern des Ehepaars gefunden worden, die jetzt in Besitz des "Focus" seien. Sie belegten, dass die Honeckers entgegen ihrer öffentlichen Angaben auch nach ihrer Flucht über Geld in Deutschland verfügt hätten. Der Historiker Michael Lemke habe die Echtheit der Unterlagen bescheinigt, berichtete das Magazin. Dem Bericht zufolge schrieb Margot Honecker im Juni 1991 an ihren Bruder Manfred Feist und dessen Frau Edith: "Behütet das Geld dort, damit die Bande da nicht auch noch heran kann." Die Vertrauten hätten den Transfer des Geldes nach Chile organisiert, wo eine Wohnung gekauft werden sollte. Im Antwortschreiben habe Manfred Feist gemeldet, alles sei erledigt. Erich Honecker starb im Mai 1995 im Chile. Margot Honecker lebt noch heute dort. (APA/dpa)