Die Erweiterung der EU um zehn Staaten kommt! Das wäre eigentlich die logische Folge der abschließenden Analyse über die Beitrittsfähigkeit der Kandidaten, die die Europäische Kommission nun angestellt hat. Zehn Staaten sind in der Lage, im Laufe des Jahres 2004 der Union beizutreten. Doch das historische Projekt ist noch nicht gewonnen. Selbst wenn sich alle Regierungen bis zum Abschluss des EU-Gipfels von Kopenhagen im Dezember plangemäß über alle Konditionen einigen: Der große Hindernislauf beginnt im Jahr 2003.Noch gibt es Unwägbarkeiten, noch kann die öffentliche Meinung in den EU-15-Staaten und in den Kandidatenländern selbst umschlagen. Zudem müssen auch die Aspiranten für eine spätere Erweiterungsrunde - Bulgarien, Rumänien und die strategisch wichtige Türkei - politisch bei Laune gehalten werden. Die erste Hürde ist das irische Referendum über den EU-Vertrag von Nizza am 19. Oktober. Es ist mittlerweile in Dublin politisch so eng mit der Erweiterung verknüpft worden, dass ein Nein zu Nizza auch als ein Nein der Bürger Irlands zur Erweiterung verstanden werden könnte. Bis sich die anderen 14 und die Kandidaten von einem solchen Rückschlag erholt haben, könnten einige wertvolle Wochen vergehen. Im Laufe des kommenden Jahres muss der EU-Beitrittsvertrag dann zur Ratifizierung durch 25 Parlamente und mindestens zehn Referenden. In vielen Ländern in Ost und West gibt es Parteien wie die FPÖ, die darauf hoffen könnten, im Zuge von Wahlen oder Volksabstimmungen durch eine EU-feindliche Kampagne Punkte zu sammeln. Manche Bürger der neuen Länder könnten um ihre noch junge nationale Souveränität fürchten. Und in den alten Ländern wabern Ängste vor der Erweiterung nicht nur im Benes-emotionalisierten Österreich. Wenn es ganz konkret wird mit der Aufnahme der "armen Brüder aus dem Osten", sind sie auch woanders schnell geweckt. (DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.10.2002)