Mensch
BRD: Psychische Erkrankungen nehmen zu
Sie stehen an sechster Stelle der Ursachen für Arbeitsunfähigkeit
Augsburg - Rund ein Drittel der deutschen Bevölkerung
muss mindestens einmal im Leben wegen einer psychischen Erkrankung
stationär behandelt werden. Solche Leiden sind mittlerweile der
häufigste Grund für Frühpensionierungen von Frauen und stehen
insgesamt an sechster Stelle der Ursachen für Arbeitsunfähigkeit, wie
die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde (DGPPN) in Augsburg berichtet. 13,5 Prozent der Krankenhaustage und zehn Prozent der Kosten für
stationäre Behandlungen seien auf psychische Leiden zurückzuführen.
Zu den häufigsten Krankheitsbildern zählten Depressionen,
Angsterkrankungen, und Abhängigkeit von Alkohol, Medikamenten und
Drogen. Die Gründe für den rasanten Anstieg solcher Fälle sind nach
Angaben der Experten vielschichtig.
Enttabuisierung
Zum einen führten moderne Untersuchungsmethoden dazu, dass mehr
psychische Leiden diagnostiziert würden. Auch Ärzte seien stärker
bereit, Syndrome, die früher als Spleen oder Tick abgetan worden
seien, als eigenständige Erkrankungen anzuerkennen. Zugleich würden
in der Bevölkerung Erkrankungen der Psyche enttabuisiert und etwa im
Falle von Depressionen als Zivilisationsleiden akzeptiert.
"Wer sich früher dazu bekannte, eine Therapie zu machen, galt als
irre und geisteskrank. Das hat sich heute in einigen
Bevölkerungsschichten etwas geändert", sagte der Sprecher der
Fachgesellschaft, Peter Falkai. Doch diese äußeren Faktoren seien
nicht allein verantwortlich für die Zunahme. Vielmehr entwickelten
viele Menschen "Überforderungs- und Abnutzungserscheinungen in
unserer immer schnelleren und unsicheren Welt". Sie müssten schneller
reagieren, mehr Entscheidungen treffen. "Gleichzeitig treten
Strukturen, an denen sie sich orientieren können, in den
Hintergrund", sagt Falkai.
Veränderungen
Der Anteil der Menschen, die derzeit unter so genannten affektiven
Störungen leiden, beträgt nach Angaben der Therapeuten im
Bundesdurchschnitt rund fünf Prozent. Im Saarland zum Beispiel liege
er dagegen bei neun Prozent. "Hier haben viele Menschen den Verlust
der traditionellen Industrien und vieler Arbeitsplätze nicht
verkraftet", betonte der Professor.
Eine ähnliche Entwicklung sei in den neuen Bundesländern zu
beobachten, wo sich zugleich die sozialen Strukturen der DDR-Zeit
aufgelöst hätten. Ein mentaler Rahmen - ob ideologisch oder religiös
- wirke stabilisierend. "Geld zu verdienen und Fun zu haben, scheint
diesen nicht ersetzen zu können", sagte Falkai. Er spricht von
geradezu frühkapitalistischen Problemen, die die Menschen seit den
90er Jahren wieder ereilten. (APA/AP)