"Die schwarz-blaue Koalition hat die Wende zu mehr Eigenverantwortung der Bevölkerung noch nicht geschafft. (. . .) Das Mitte-rechts-Bündnis ist ausgerechnet an der geplanten Steuererform gescheitert. Hier spiegelt sich das Unvermögen, Ausgabenkürzungen durchzuführen, wenn es der eigenen Klientel schadet. (. . .) Die schwarz-blaue Wendebilanz zeigt, dass der von vielen erhoffte große Aufbruch ausgeblieben ist. (. . .) Fraglich ist, ob sich der Reformeifer im Falle einer Wiederwahl beschleunigt."So weit der Leitartikel im konservativen Wirtschaftsteil der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2. Oktober). Kein wirklich gutes Zeugnis von einem führenden Organ der deutschen Wirtschaft. Tatsächlich waren die Hoffnungen, die man in eine wirtschaftspolitische Wende durch diese Koalition setzte, zum großen Teil unrealistisch. Die ÖVP ist keine "Wirtschaftspartei" im Sinne eines modernen Kapitalismus, sondern eine Versammlung von geschützten Sektoren: Bauern, Beamte, Kleingewerbetreibende. Der wirtschaftsliberale Flügel ist schwach. Die FPÖ ist "Wirtschaftspartei" nur insofern, als dort ein paar rechtskonservative und deutschnationale Industrielle versammelt sind, der riesige Rest ist "Partei des kleinen Mannes": national und sozialistisch. Der Finanzminister, der vor Jahren einmal von einer "wirtschaftsliberalen Mittelstandspartei" träumte, ist in Wahrheit Vertreter der "Karl-Heinz-Partei". Sein Nulldefizit ist ein Marketing-Gag, erkauft mit der höchsten Steuer-/Abgabenbelastung aller Zeiten. Wolfgang Schüssel ist auch kein Wirtschaftsliberaler, vor allem aber glaubt er nicht an die Notwendigkeit oder Möglichkeit eines gewaltigen, konzertierten Reformschubs. Im Grunde ist er überzeugt, dass Österreich doch eh sehr gut dasteht und man halt ein bisschen adaptieren muss. Da mag etwas dran sein - wenn man die Vergangenheit betrachtet. Angesichts zuneh- mender Konkurrenz durch die aufholenden mittel- und osteuropäischen Reformstaaten verschlechtert sich aber Österreichs Wettbewerbsstatus laufend. Das ist das eigentliche Thema der kommenden Jahre. Schwarz-Blau hatte einige Reformansätze, das ist unbestritten. Aber: Wenn man ein Student oder Universitätsabsolvent mit vagen Zukunftsaussichten ist, ein angehender oder bereits strampelnder Jungunternehmer; oder ein "neuer Selbstständiger"; oder ein junger Angestellter (weibliche Form immer mitgedacht) - was hat dann die schwarz-blaue Koalition gebracht? Mehr Arbeitsplätze? Bessere Chancen? Weniger Behördenkram? Niedrigere Steuern und Abgaben? Bessere Lebensqualität etwa durch angenehmere Ladenöffnungszeiten? Mehr Gerechtigkeit in dem Sinn, dass die Beschäftigten in der Privatwirtschaft und die Selbstständigen für die rüstigen Frühpensionisten des öffentlichen Dienstes zahlen müssen? Jeder beantworte diese Frage selbst. Wenn es einen Grund für Schwarz-Blau gegeben hat, dann den, die rote Beton-Gewerkschaftsblockade und die lähmende Staatslastigkeit der Wirtschaft etwas zu lockern. Bekommen haben wir halbherzige Reformen, himmelschreiende Inkompetenz bei den Blauen und rechtsradikale Schmissträger, die in die Institutionen einsickern. Die wachsende Arbeitslosigkeit wurde souverän ignoriert. Soll daher Schwarz-Blau weiterregieren, weil es besser ist für die Wirtschaft als eine Neuauflage von Rot-Schwarz oder Rot-Grün? Das kommt auf die Wirtschaftskompetenz bei Rot und bei Grün, auf ihre Pläne und die Wahrscheinlichkeit ihrer Umsetzung an. Die wird man sich jetzt sehr schnell und sehr genau anschauen müssen. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.10.2002)