Eva Hesse: "Ich arbeite weder für den Innen- noch für den Aussenraum". - (Two in One, 1965)

Foto: Museum Wiesbaden/courtesy R. Shapiro, N.Y.
Eva Hesse gilt als eine der einflussreichsten Künstlerinnen der 60er-Jahre. Eine Werkschau, die derzeit in Wiesbaden zu sehen ist, belegt die ungebrochene Aktualität ihrer Arbeit.

Wiesbaden - "Was mir wichtig erscheint", sagt Eva Hesse in einem ihrer letzten Interviews, "eine mir unbekannte Größe zu finden, welches Problem auch immer dadurch auf mich zukommt". Eva Hesse starb 1970 im Alter von nur 34 Jahren an den Folgen eines Gehirntumors. Sie starb als sehr erfolgreiche Künstlerin. Sie gilt als zentrale Figur der 60er-Jahre. Ihr Leben war ein Drama. Ihr recht umfassendes Werk hat den Jahrzehnten standgehalten, immer noch ist es interpretationsresistent, passt bloß in eine Schublade mit dem Schild "Eva Hesse".

Nach dem San Francisco Museum of Modern Art zeigt nun das Museum Wiesbaden eine Retrospektive der Vielvereinnahmten, ab November ist die Schau in der Londoner Tate zu sehen - seltene Gelegenheiten, so viele ihrer Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen in einer Zusammenschau zu erleben.

Die bis heute wohl geläufigste Rezeptionskrücke findet sich im Umweg über Hesses Biografie. Sie wurde 1936 in Hamburg als Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts geboren. 1938 konnten ihre Eltern sie und die 5-jährige Schwester gerade noch in einen Zug weg aus Nazi-Deutschland stecken. Der Bruder ihres Vaters, der sie in Holland abholen sollte, kam nicht, endete wie fast alle ihrer Familie in einem Konzentrationslager.

Flucht und Krankheit

Die Mädchen kamen in ein katholisches Heim. Erst '39 schafften die Eltern die Flucht aus Deutschland und mit den Mädchen nach New York. Eva war krank, ihre Mutter auch. Die Mutter zieht zu ihrem Psychologen, der Vater heiratet "ein Miststück, das auch Eva hieß" - und dann eben auch "Eva Hesse". Die Stiefmutter sollte, nachdem Evas Vater nach 15-jährigem Siechtum gestorben war, denselben Hirntumor überleben, an dem Eva Hesse kurz darauf starb.

Eva selbst studiert in Yale Kunst, heiratet den Bildhauer Tom Doyle, verbringt ein Jahr mit ihm Deutschland, begegnet Hans Haacke, Franz Erhard Walter, Harald Szeemann, Arturo Schwarz, und - möglicherweise - Joseph Beuys. Zurück in New York bleiben ihr knapp vier Jahre, anerkannt zu werden und ein einflussreiches "Spätwerk" zu liefern. Neben Anfängen mit Malereien im Gefolge des abstrakten Expressionismus, entwickelt sie Zeichnungen, die Surreales mit Stilelementen aus Comics und höchst eigenwilligen Mechanismen ungeklärten Zwecks und Ursprungs zwischen Insekt und Maschine kombinieren.

Den entscheidenden Schritt ins Räumliche setzt sie mit der Montage von Schnüren auf ihre Bildträger.

Bald schon dringen Versorgungsschläuche aus dem Raum in die Bildwelten ein, spinnen Fäden chaotische Netzwerke, hängen schlappe Kunststoffhalme aus exakten Halbkugeln. In Gummi und Polyestherharz findet Hesse ihre Materialien, den Bildträger ganz zu verlassen, völlig selbstbezügliche Regale und in sich gekehrte Volumina zu schaffen, die beides zugleich sind: abgeschieden und dominant. Nie stehen sie in Bezug zu einem speziellen Raum, nie kommen sie dem Betrachter illusionistisch oder gar geschwätzig entgegen. Sie haben zu sich gefunden. Dass sie auf Dritte einen taktilen Reiz ausüben, berührt sie nicht weiter.

Wenn Hesse eine Arbeit missfiel, meinte sie, das Stück wäre "zu edel geraten, zu stimmig. Ich hätte etwas mehr falsch machen sollen." Wenn ihr an Interpretationen Dritter etwas missfiel, waren es Deutungen, die versuchten, Form, Inhalt, Idee und Material - die Person, die Künstlerin, ihre Arbeiten voneinander zu trennen. Warhol war ihr Lieblingskünstler. Aber auch Carl Andre - als Gegenteil. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.10.2002)