Die kalifornische Technologiekritikerin referiert auf der Wiener Konferenz "Dark Markets", auf der Infopolitik in Zeiten der Krise thematisiert wird.

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An die so genannte "digitale Revolution" hat sie sowieso nie geglaubt. "Kassandra" würde Frau Borsook besser stehen als ihr Vorname Paulina. Die kalifornische Technologiekritikerin und "Schreiberin, um herauszufinden, was ich denke", warnte seit Jahren vor dem großem Platzen der Luftburg Internetbusiness und dessen (gefallenen) gottgleichen Heroen. Technoliberalismus nennt sie den in den digitalen Fabriken geträumten Traum von unbeschränkter Freiheit, der sich kurzsichtig, kurzfristig, und wie sie meint, ohne Rücksicht auf Lebensqualität wie Umwelt äußerte.

Jetzt, im Zeitalter nach Dotcom-Crash und 9/11, vergleicht sie die Welt mit Byzanz um 550, mit dem Heraufkommen des religiösen Fundamentalismus, dem Auseinanderklaffen der Arm-Reich-Schere, dem ewigen Recycling von alten TV-Serien zu neuen Serien oder Kinofilmen. Borsook eröffnet damit am Donnerstag die zweitägige Konferenz von "Public Netbase/t0" in den Räumen des Architekturzentrums (Museumsquartier) zum Thema Dark Markets - Info-Politik, elektronische Medien und Demokratie in Zeiten der Krise (u. a. mit Chantal Mouffe, Franco Berardi Bifo).

Borsook hatte die Netzeuphorie von Anfang an mitgekriegt, als sie zu Beginn der Neunziger im Silicon Valley zuerst für Computermagazine schrieb, "die etwa so sexy waren wie Dishwasher Monthly", bis sie bei Wired unterkam, der ersten "coolen" Zeitschrift für Netzkultur. In ihrem 2001 auf Deutsch als Schöne neue Cyberwelt - Mythen, Helden und Irrwege des Hightech (dtv, Engl. Ausg.: Cyberselfish ) herausgekommenen Buch rechnet die Autorin mit dem Magazin sowie der Cyberkultur schlechthin ab. Manchmal recht undistanziert, so Kritiker der Kritikerin.

Obwohl sich das Buch auf die 90er und auf die San Francisco Bay bezieht, dient das Beschriebene als nahezu überall anwendbares Modell, auch heute noch. Ihre Kritik: die Verdammung des Staates seitens der Technolibertären (bei gleichzeitigem Profitieren von seinen Leistungen) und der Glaube an Deregulierung und Privatisierung.

Zwei Merkmale, die so konträre Gruppierungen wie die aus Hippies hervorgegangene Nerds, die "Raver" auszeichnet(e) sowie konservative "Gilder" (benannt nach dem Redenschreiber Reagans). "Diese alle haben in der Krise erkannt, dass es doch nicht so schlecht ist, dass es eine Regierung gibt", sagt Borsook im STANDARD-Gespräch: "Siehe staatliche Pensionen, die nicht nur vom Erfolg auf dem Aktienmarkt abhängig sind, siehe die Krise in der kalifornischen Stromversorgung. Und siehe auch Institutionen wie Feuerwehr und Polizei, die Helden New Yorks."

Den Status quo in San Francisco, das laut Borsook nun aussehe "wie ein postapokalyptisches Nachkriegs-Berlin oder Wien", beschreibt sie folgendermaßen: "Ein Großteil der Gebäude steht leer, ist zu vermieten. Viele Menschen wurden damals aus ihren Wohnungen hinausgeworfen und durch ein und dieselbe Type ersetzt, die schnell in der Netzbranche zu Geld kommen wollte."

Mittlerweile scheint es zu ihrem großen Wohlwollen aufgefallen zu sein, dass "das Netz bloß Infrastruktur ist, nichts weiter. Ein gutes Organisations-Werkzeug". Und zum Schluss wieder ein Manko: "Viele Menschen haben Entwicklungen nicht längerfristig erlebt, in ihren Konsequenzen. Und viele Netkids glauben, alles ist gratis - was wieder auf die Künstler zurückfällt." (Doris Krumpl/DER STANDARD, Printausgabe, 2.10.2002)