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Wahlkampfunterstützung bekam der "rote Lula" (links) am vergangenen Wochenende auch vom prominenten US-Bürgerrechtler Jesse Jackson

Foto: APA/epa/ Mauricio Lima
Auf diesen Moment hat der schwarze Angestellte Bernardo seit drei Stunden gewartet. "Lulaaa, Lulaaa", klingt es aus 30.000 Kehlen. Zu schmissigen Sambaklängen schwingt Bernardo die Hüften. Wahlkampf in Brasilien. Die Menge feiert am Strand von Rio de Janeiro, obwohl der Stargast des Abends noch eine Stunde auf sich warten lässt: Luiz Ignacio "Lula" da Silva von der Partei der Arbeiter (PT). Bernardo wird am 6. Oktober für den graubärtigen Gewerkschaftsführer stimmen, weil er "Erfahrung hat" und diejenigen vertritt, "die von der Elite noch nie an die Macht gelassen wurden". Es ist Lulas vierter Anlauf für das Amt des Präsidenten. Und diesmal könnte er es laut Umfragen sogar im ersten Wahlgang schaffen, in dem er die absolute Mehrheit braucht. "Eine rote Welle geht durchs Land" ruft Lula strahlend in die Menge und zählt die Unternehmer und Provinzfürsten auf, die sich in den letzten Wochen auf seine Seite geschlagen haben. Einer der wichtigsten Alliierten ist sein Vizepräsident José de Alencar: ein typischer Vertreter der brasilianischen Elite, Mitglied der rechten Liberalen Partei, ein erfolgreicher Unternehmer und Protestant. Auch er wird bejubelt mit wehenden roten Fahnen, auf denen der Stern der Arbeiterpartei und manchmal noch Ham- mer und Sichel zu sehen sind. Das Bündnis mit Alencar und der Verzicht auf radikale Positionen - ein Bruch mit dem Weltwährungsfonds und die Einstellung des Schuldendienstes - waren innerparteilich umstritten. "Lula light" nennen seine Kritiker die Strategie, mit der die PT die Wahlen gewinnen will. Für deren Wandlung von einer marxistisch inspirierten Kämpfertruppe zu einer rosaroten Sozialdemokratie ist Lula mit verantwortlich. Dennoch ist er einer der konsistentesten Politiker des Landes, wo Kandidaten Parteien wechseln wie ihr Hemd und Persönlichkeiten wichtiger als ideologische Ausrichtungen sind. Lulas Gegenspieler Ciro Gomes etwa hat bereits das Parteienspektrum von linksradikal bis konservativ durch- laufen und tritt nun für ein Linksbündnis an. Anthony Garotinho ist ein ehemaliger evangelischer Prediger, der in seiner Kampagne Jesusfiguren küsst. Regierungskandidat José Serra von der Sozialdemokratischen Partei (PSDB) fehlt jegliches Charisma. Er steht als ehemaliger Gesundheitsminister von Präsident Fernando Henrique Cardoso für Kontinuität, doch die Brasilianer wollen den Wandel. Cardosos Strukturreformen brachten in den vergangenen acht Jahren zwar wirtschaftliche Stabilität, aber es gingen auch elf Millionen Arbeitsplätze verloren. Noch immer lebt ein Viertel der Bevölkerung in Armut und muss mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Gesundheitssystem und Schulbildung sind desaströs. Zehn Prozent der Brasilianer besitzen 80 Prozent des Reichtums. "Sozialpolitisch wäre es wünschenswert, dass Lula an die Macht kommt", meint daher der Direktor der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rio, Wilhelm Hofmeister. Wirtschaftspolitisch könnte es zur Gratwanderung werden. Im August gewährte der IWF einen Rekordkredit von 30 Mrd. Dollar zur Beruhigung der Märkte. Genutzt hat es nichts. Der Real verlor seit Jahresbeginn 40 Prozent an Wert. Darum heißt es inzwischen sogar beim Industrieverband Fiesp: "Lulas Sieg in der ersten Runde ist wichtig, damit die Spekulation ein Ende hat." (DER STANDARD, Printausgabe, 2.10.2002)