"Man kann doch Leute nicht so auf die Straße setzen"
Aus Furcht, aus der Betreuung zu fallen, setzten junge Kosovaren am Dienstag in Traiskirchen
ihren Sitzstreik fort
Redaktion
,
Traiskirchen - Skender Lokaj
erblickt eine Chance. Das Auge der Öffentlichkeit - sprich:
ein Journalistenteam - wendet
ihm seine Aufmerksamkeit
zu. Ihm und seinen 370
Landsleuten aus dem Kosovo,
die sich am Montag noch auf
dem Gelände der Betreuungsstelle Traiskirchen - im
Volksmund "Flüchtlingslager" genannt - befanden.
"Wir dachten, dass wir in
Österreich Asyl kriegen. Und
Arbeit, weil daheim gibt es
keine Jobs. Dass wir hier leben
können wie alle Menschen
auch. Zu Hause hat es geheißen, dass das noch bis Ende
September geht", erzählt Lo_kaj in eine Kameralinse hinein. In fließendem Deutsch:
Der junge Mann war Kriegsflüchtling in Deutschland, bis
er im Jahr 2000 "zum Wiederaufbau" in den Kosovo zurückkehrte.
Nun ist er Wortführer auf
dem Parkplatz der einstigen k. u. k. Kadettenschule, bekommt auf Albanisch halblaut
Stichworte zugeraunt. Aus einem Pulk junger Männer in
Jeans und Trainingshosen, sie
umringen ihn stehend, während sich im Hintergrund, auf
dem Parkplatzbeton, 200 weitere Kosovaren richtig niedergelassen haben: Sitzstreik.
"Man kann doch Leute nicht
so auf die Straße setzen", findet der Interviewte. Sein Ton
ist leicht fragend. In der Hand
hält er eine amtliche Bestätigung: Am 30.
9., so steht da,
sei er "von der Betreuungsstelle Traiskirchen abgemeldet" worden. Ein zweiter Zettel erteilt ihm den Rat, "in Ihr
Heimatland zurückzukehren". Das entspricht der neuen
Innenministeriumsrichtlinie,
die seit 1. Oktober gilt. Lokaj entschlossen:
"Sie müssen eine Lösung für
uns finden!"
Letzteres ist in Richtung
Franz Schabhüttl gesagt, dem
Referatsleiter für Dienstleistungen in der Betreuungsstelle. Er beobachtet den Menschenauflauf aus zehn Meter
Entfernung, blass, mit verschränkten Armen. So einen
Sitzstreik habe er in Traiskirchen noch nie erlebt, wird er
später in der Stockbettenwüste des 84-Personen-Schlafsaals in der Traiskirchener
Notaufnahmestelle erzählen.
Keine Chance auf Asyl
Der Saal ist menschenleer:
Die jungen Kosovaren draußen auf dem Parkplatz setzen
ihre Protestaktion fort. 2500
von ihnen seien in den vergangenen drei Monaten als
Asylwerber nach Traiskirchen
gekommen, rechnet Schabhüttl zusammen. Menschen,
die - laut Auskunft aus dem
Innenministerium - keinerlei
Chance auf positive Erledigung ihres Asylantrags hätten.
Weil wirtschaftliche Not im
Herkunftsland eben kein ausreichender Fluchtgrund ist,
nirgendwo in der EU.
Ihr Asylverfahren wird
dennoch abgewickelt. Nach
den Buchstaben des - vor dem
Platzen der Bundesregierung
nicht mehr wie geplant novellierten - Asylgesetzes. Wenn
in vielen Fällen auch ohne
Anspruch auf Unterbringung
und Versorgung: eine Härte,
die laut Katharina Ammann
von der evangelischen
Flüchtlingsberatungsstelle in
Traiskirchen "aber nicht nur
die belastbareren jungen
Männer trifft. Am Dienstag
zum Beispiel wurde eine Kosovarin von der Betreuungsstelle auf die Straße gesetzt.
Mitsamt ihren zwei Kindern." (Irene Brickner/DER STANDARD, Printausgabe, 2.10.2002)
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