Bei drei der vier Parteien, die realistische Chancen haben, nach dem 24. November wieder in den Nationalrat einzuziehen, wissen die Wähler, woran sie personell sind, und demnächst werden sie wohl auch über die ersten plakatierten Punkte hinaus deren Wahlprogramme abrufen können. Da diesmal - übrigens etwas Neues - alle vier Parteien ausdrücklich willens sind zu regieren, könnten die Wähler schließlich an deren Plänen interessiert sein, für den Fall, dass sie auch in die Lage kommen zu regieren.

Mit der sofortigen Zuspitzung auf Wolfgang Schüssel unter dem Motto "Wer, wenn nicht er" hat die ÖVP zu erkennen gegeben, dass für sie Spitzenkandidat und Wahlprogramm eines sind, womit sie aus der politischen Not, das schwarz-blaue Experiment als Erfolg zu verkaufen, die Tugend der Nachhaltigkeit in der Fortsetzung desselben zu machen versucht. Wozu angesichts jenes Chaos beim Koalitionspartner, das Schüssel veranlasste, dieses Experiment vorzeitig platzen zu lassen, einiges mehr gehört als landesübliche Gelassenheit.

Bei der vierten Partei liegen die Dinge etwas anders. Da kennen wir das Wahlprogramm, denn viel mehr als die (unter-)griffigen Vetodrohungen gegen die EU-Erweiterung wird das wohl nicht mehr werden, nachdem die Idee eines staatlichen Generalkollektivvertrages rasch als Unsinn entlarvt war und die Forderung nach einer Steuerreform nur noch derart schwach vorgebracht wird, dass sie kaum einen Wähler ins Lager der FPÖ locken dürfte. Aber was den Spitzenmann betrifft, sehen die Wähler nicht klarer als in den letzten zwei Jahren. Denn ob wahr ist, was Mathias Reichhold so laut vorbetet, wie das Kind im finsteren Wald pfeift - er wäre der neue Führer -, darauf möchte wohl niemand einen Handschlag, der zählt, von ihm entgegennehmen.

Wie er darauf beharrt, dass nun der Reichhold-Weg der FPÖ beginne und dass keinesfalls irgendein anderer, womöglich aus Kärnten, die Spielregeln bestimmen werde - das hat, nach allem, was war, etwas Rührendes. Aber davon, die FPÖ sei nicht länger Haiders Partei, kann er nicht einmal seine eigenen Funktionäre überzeugen, geschweige denn breitere Wählerschichten. Nach Knittelfeld ist schon jeder diesbezügliche Versuch eine Zumutung, die derzeit innerparteilich nur deshalb hingenommen wird, weil alle froh sind, doch noch einen gefunden zu haben, der sich vor den verfahrenen Karren spannen lässt.

Selbst wenn man es ihm glaubte, dass die FPÖ nicht mehr die Partei Jörg Haiders ist - wie soll denn eine Partei Mathias Reichholds aussehen? Worin soll sie sich von der Jörg Haiders unterscheiden? Das konnte der neue Führer bisher nicht annähernd darstellen, und bis zu den Wahlen wird das auch niemand anderem gelingen. Und es dürfte gar nicht gelingen, sollte das sensationelle Projekt der Reichhold-FPÖ nicht schon als zartes Pflänzchen verblühen, weil sich neben vielen enttäuschten Wechselwählern auch die Haiderwähler vertschüssen.

Eher als einen ernst zu nehmenden FPÖ-Chef und Spitzenkandidaten verkörpert Reichhold die letzte Personalreserve einer Partei, die sich lange Zeit unter der Fuchtel eines Populisten duckte, der Verantwortung stets bei anderen einforderte, und sich drückte, wo er sich ihr stellen sollte; der aber auch nicht zusehen wollte, dass andere daran wuchsen - und ihm womöglich über den Kopf.

Für Reichhold wie für seine neu ernannten Stellvertreter, vielleicht mit einer Ausnahme, gilt: Neu an ihnen ist nichts. In Höhen und Tiefen war ihr politischer Marktwert stets abhängig vom Willen ihres geliebten Führers. Ob Reichhold sich von ihm abnabeln kann und will - bis zum Wahltag wird es der Wähler nicht erfahren. (DER STANDARD, Print vom 28.9.2002)