Schwarz-Blau und Rot-Grün sind zur Zeit gleich wahrscheinlich

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Nach der Deutschland-Wahl (bei der Rot-Grün sich knapp behauptete) hat die ÖVP mit der SPÖ in der „market“-Umfrage gleichgezogen: Beide Großparteien haben je 37 Prozent in der Hochrechnung, FPÖ und Grüne liegen mit 13 beziehungsweise zwölf Prozent etwa gleichauf. Auffallend ist, dass nicht nur die FPÖ, sondern auch die SPÖ in den Rohdaten schwach ist. (Grafik zum Vergrößern anklicken)

Wien - Mehr wortreiches Schweigen war selten. Mit Floskeln, Selbstlob und rhetorischen Ausweichmanövern wand sich ÖVP-Vizeobfrau Elisabeth Gehrer neulich um eine Antwort auf die Frage, mit wem denn die ÖVP nach der Wahl koalieren möchte. Weil, so ihr Argument, das die Wähler kaum interessiere. Stimmt nicht wirklich, entgegnet die Politologin Sieglinde Rosenberger im STANDARD- Gespräch: "Eine Koalitionsaussage ist in diesem Wahlkampf ein wichtiger inhaltlicher Punkt. Auch deshalb, weil viele Wähler desorientiert sind und nach Orientierung suchen. Lavieren erzeugt da Verunsicherung." Für die ÖVP gelte das noch am wenigsten: Sie habe nach dem Ende von Schwarz-Blau keine andere Wahl, als die öffentliche Präferenz vieler VP-Spitzen für eine Fortsetzung von Schwarz-Blau durch öffentliche Nichtfestlegungen wie die Gehrers zu ergänzen. Völlig anders sei die Situation für SPÖ und Grüne. Beide liebäugeln mit Rot-Grün, lassen sich aber auch eine Zusammenarbeit mit der ÖVP offen. Vor allem von den Grünen ein Fehler, meint Rosenberger: "Die Grünen müssen auf Konsistenz achten. Sie haben am stärksten gegen Schwarz-Blau argumentiert und sich dadurch profiliert. Wenn sie sich jetzt die Tür zur ÖVP offen lassen, könnte das zu Glaubwürdigkeitsverlust führen." Schwieriger sei eine Festlegung für die SPÖ - weil innerhalb der Funktionäre sowohl Rot-Schwarz als auch Rot-Grün seine Fans habe. Für die Wähler hingegen, meint Rosenberger, wäre eine klare Koalitionsaussage "hilfreich". Wechsler verprellt

Das stimme zwar - aber klare Koalitionspräferenzen haben auch "ihren Preis", kontert der Polit- und Sozialforscher Christoph Hofinger vom Institut Sora: "Die Wähler sind in Bewegung, mehr Prozent als sonst sind zum Lagerwechsel bereit. Eine klare Festlegung kann auch potenzielle Lagerwechsler verprellen - und ein Offenlassen der Wunschkoalition hingegen ein Signal, über die Lagergrenzen hinaus sein." Dazu komme, dass eine klare Koalitionsaussage Wähler vor allem innerhalb der Blöcke Rot-Grün oder Schwarz-Blau bewege: "Wähler, die zwischen Rot und Grün schwanken, könnten sich durch eine Festlegung der SPÖ auf Rot-Grün für die SPÖ entscheiden." Damit änderten sich allerdings nicht die Mehrheiten. Ob nun die Kosten oder der Nutzen einer Festlegung höher sei, das kann Hofinger jetzt nicht beantworten: "Darüber grübeln derzeit sicher die Strategen aller Parteien." (Eva Linsinger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28./29.9.2002)