Finanzen & Börse
EU plant Aufhebung des Börsezwangs
Pläne zur Schaffung eines einheitlichen Wertpapiermarkts werden im November präsentiert
Wien - Den europäischen Aktienmärkten steht ein neuer
Umbruch ins Haus: Die EU-Kommission plane die Freigabe des direkten
Aktienhandels durch Banken und Aktienbesitzer, ohne große
Transaktionen über die Börse abwickeln zu müssen, schreibt die
"Financial Times" (FT) in ihrer Ausgabe von Freitag. Dies
könnte nach Ansicht von Experten "den größten Wandel an den
europäischen Wertpapiermärkten seit zehn Jahren auslösen". Erst
gestern hat die Frankfurter Börse angekündigt, den Neuen Markt für
Wachstumswerte aufzulassen. Hinter den Kommissionsplänen stehe die Absicht, einen
einheitlichen europäischen Aktienmarkt zu schaffen. Einzelstaatliche
Regelungen, die derzeit den grenzüberschreitenden Wertpapierhandel
behindern, sollen aufgehoben oder gelockert werden. Der Entwurf der
Kommission soll laut FT im November offiziell präsentiert werden und
könnte nach Zustimmung der EU-Länder und des Europäischen Parlaments
bereits 2004 in Kraft treten.
Kein Börsezwang
Die neuen Regeln dürften sich in erster Linie auf Länder wie
Frankreich, Italien oder Spanien auswirken, wo bisher alle größeren
Aktiengeschäfte über die Börse laufen müssen. Zugleich werde es
Investmentbanken erleichtert, künftig mit einer nationalen Lizenz
EU-weit zu operieren. In EU-Ländern wie Großbritannien, Deutschland
und auch Österreich gibt es diesen Börsezwang dagegen nicht.
Der für Zulassungsfragen an der Wiener Börse zuständige
Bereichsleiter Karl Brauneis fürchtet daher auch keine negativen
Auswirkungen für den heimischen Markt. In Österreich laufen derzeit
rund 90 Prozent der Transaktionen mit Bundesanleihen im so genannten
OTC-Handel (over-the-counter) außerhalb der Börse, bei den Aktien
wird dieser Anteil auf rund 20 Prozent geschätzt.
Fragmentierung
Die geplanten Maßnahmen dürften in erster Linie großen Börsen wie
London oder Frankfurt zu Gute kommen, während kleinere Märkte weiter
an Bedeutung verlieren dürften, vermutet die FT. Auch große
Investmentbanken und multinationale Gesellschaften sollten unter den
Gewinnern einer entsprechenden Regeländerung sein, während kleinere
Banken, Börsen, Anlageberater und alternative Handelssysteme an
Bedeutung verlieren dürften.
Gegner der Vorschläge warnen vor einer drohenden Fragmentierung
des Marktes. Zudem könnte es für Anleger schwieriger werden, den
besten Preis für ihre Aktien zu finden. Manche Börsen könnten sogar
schließen. "Das ist das Ende des Marktes, wie wir ihn kennen",
zitiert die FT einen Bankenvertreter. Börsen würden damit nicht mehr
der einzige Platz für den Kauf und Verkauf von Wertpapieren sein,
womit auch die Ermittlung eines Referenzpreises erschwert würde.
Brauneis sieht das anders: Aus steuerlichen Gründen sei in vielen
Fällen ein offiziell über die Börse ermittelter Preis erforderlich. (APA)