Montage: derStandard.at
Vor ein paar Jahrzehnten machte ich es mir zur lieben Angewohnheit, im letzten Septemberdrittel ein Fest mit Freundinnen und Freunden zu feiern. Anfangs mit Grillwürsteln, Papierschlangen und Eltern, später mit Pop, Flaschendrehen und Eltern, die sich im Hintergrund hielten, dann mit Rock, Flaschen voll durchsichtiger Spirituosen und ohne Eltern, schließlich mit irgend so einem Groove im Hintergrund, befreundeten Ehepaaren (Eltern von Kindern) und Weinflaschen, von denen eine ungefähr so viel kostet wie anfangs das ganze Fest. Voriges Jahr ging ich von der gemeinhin geltenden Formel 1 Gast = 1 Flasche Wein aus, hatte 27 trinkfreudige, gut gekühlte Flaschen zur Hand und blieb auf mehr als der Hälfte sitzen. Heuer ging ich wieder von der Formel 1 Gast = 1 Flasche Wein aus, weil's eh wurscht ist, und Wein ja zum Glück nicht gleich ranzig wird, und notfalls eine liebe Freundin eh in einem Monat Geburtstag feiert, und siehe da: Keine Flasche blieb über, jedes verfügbare Bier wurde ausgetrunken, sogar der Portwein wurde begehrlich angesehen und ich glaube, auch jemanden dabei beobachtet zu haben, letzte Tropfen in einem Glas zusammenzuschütten. Was war in dem einen Jahr geschehen, das meine Freunde mehr als doppelt so viel als letztes Jahr schlucken ließ? Die Freude darüber, dass die blau-schwarze "Wende" ihr Ende fand? Eher unwahrscheinlich angesichts des nun wieder unklaren Frontverlaufs. Zunehmender Alkoholismus? Möglich, allerdings wäre die Steigerung eher erschreckend, noch dazu wo früher zuverlässige Konsumenten alkoholischer Getränke diesmal ihr eigenes alkoholfreies Bier mitgebracht hatten. Kollektive Lust zur Enthemmung, jetzt, wo wir ja bald wirklich echt alt sind? Völlig unwahrscheinlich, meine Freunde und Enthemmung ­- nö. Die Aufregung über die spannende Deutschland-Wahl? Nur eine Besitzerin eines deutschen Passes war anwesend, und die anderen schienen sich darüber im Klaren, dass die Deutschen auch ohne hiesige Aufregung eh das wählen werden, was sie wählen wollen. Das Nachlassen des 9/11-Schocks? Klingt blöd, ich weiß, glaube aber tatsächlich, dass das der Grund sein könnte. Zwar hatte niemand der Anwesenden Freunde, Bekannte oder Verwandte verloren oder auch nur jemanden gekannt, der jemanden verloren hätte, die Stimmung war gut, die in der Luft liegende Spannung schien eher anregend zu wirken. Nur halt nicht auf den Konsum von Wein und Bier. Ein Jahr ist vorbei und wir scheinen wieder die alten zu sein, zumindest in dieser Hinsicht. Irgendwie seltsam.